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Es war einmal im Nachtjackenviertel
Selbst anpacken? Aber gern! Wir sind jung und wir strotzen nur so vor Kraft. Probleme sind für die anderen da. Wir sind Freunde, alle mit handwerklichem Geschick und ebensolchen Berufen. Wir haben keine Wohnung aber einen Zettel in der Hand mit Adressen. Alles Häuser, die nur auf unsere starken Arme warten.
Es sind Häuser, so lernen wir, die nur noch stehen, weil sie sich an anderen Häusern festhalten können. Häuser, die darauf warten, von Grund auf neu gebaut zu werden. Das Material würde uns die KWV bezahlen, wir müssen es nur selbst besorgen.
Immerhin, so denken wir in der Wismarschen Straße, haben wir die schlimmste Adresse gleich als erstes hinter uns.
Immerhin ist das zweite Haus in der gleichen Straße nur eine Nuance schlechter.
Das Haus in der Puschkinstraße dagegen ist ein Traum. Ein Albtraum.
Am Platz der Jugend hat uns die Straßenbahn ausgespuckt, wir stolpern die Hermannstraße hinauf ins Nachtjackenviertel hinein. Keine Ahnung, woher dieser Name kommt. Er passt aber. Irgendwie.Hermannstraße, Querstraße, Brunnenstraße genießen nicht den besten Ruf. Im Schlachthof dahinter arbeiten die härteren Jungs. Die Häuser hier haben nichts mehr zum Festhalten, also halten sie sich aneinander fest.
Wir müssen in die Große nicht in die Kleine Wasserstraße, klar. Das kann man sich leicht merken, in der Großen Wasserstraße stehen die kleinen Häuser und in der Kleinen Wasserstraße die großen.
Hier ist es. Die verwitterte Hausnummer passt mit der auf dem Zettel überein. Die Tür ist zugenagelt. Na und! Die Fenster halten nicht dicht. Knarzend schwingen die Flügel auf. Der Freund zieht sich auf die Fensterbank, will sich mit kühnen Schwung nach innen...
...und findet im letzten Moment noch Halt am morschen Fensterflügel. Drinnen gibt es keinen Fußboden mehr, nur ein paar Restbalken kreuzen den Blick in den schwarzen Keller.