10 Filmtipps zum Filmkunstfest

Die Altstadt rund um das Capitol steht für einige Tage ganz im Bann der Leinwandwelten. Ein Fachmann hat sich für uns durch das Programm geguckt und gibt ganz persönliche Empfehlungen für den Weg durch den Programmdschungel.
03.05.2016
Oliver Hübner

Neben den Wettbewerben mit aktuellen deutschsprachigen Produktionen steht 2016 das Gastland Belgien im Fokus. In den vergangenen Jahren machte es mit einigen sehr bemerkenswerten Filmproduktionen, nicht nur der Dardenne-Brüder, auf sich aufmerksam. Schon eine feste Größe im Festivalprogramm ist der Blick vor die Haustür: Filme gedreht in M-V. Und natürlich sind auch in diesem Jahr wieder ausgesuchte Produktionen der DEFA im Programm. Ergänzt durch weitere Reihen, Ausstellungen und Einzelveranstaltungen bietet das Festival so ein großes Spektrum an Themen und Filmgenres an.

Für mich macht genau diese bunte Mischung den besonderen Reiz des Schweriner Filmfestivals aus. Arthaus Spielfilme, für die man sonst mindestens bis Hamburg fährt, Dokumentarfilme, die oft nicht den Weg ins Kino finden, fremdsprachige Filme im Original mit Untertiteln und ein Genre, dass leider viel zu selten auf ein großes Publikum trifft: die Kurzfilme. Das Programm mit 131 Filmen in elf Wettbewerben und Programmreihen liegt vor. Doch alle zu sehen, das ist nicht zu schaffen. Auch nicht mit viel Sitzfleisch und gutem Zeitmanagement. Aber mal ehrlich, nach drei bis vier Filmen pro Tag haben auch die größten Enthusiasten genug. Ich habe mir das Programm angeschaut und meine persönliche Top 10 gefunden. Eine sehr subjektive Auswahl natürlich.

1. Rabbi Wolff
Nach ihrer bewegten doch heiter gestimmten Dokumentation über den jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee "Im Himmel, unter der Erde", stellt uns Britta Wauer einen ihrer Protagonisten in einem eigenen Filmportrait vor. Der Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern William Wolff ist ja in Schwerin kein Unbekannter. Aber wer weiß schon, dass er Vorlieben für Pferderennen hat und fast wöchentlich aus England in seinen Amtssitz nach Schwerin pendelt?  

Rabbi Wolff, Regie: Britta Wauer,
D 2016, 90' OmdU 
Di. 3.5. 19.30 Uhr, Eröffnungsfilm

So. 8.5. 16.00 Uhr

2. Café Belgica
Der interessanteste Film aus der Länderreihe ist für mich der neue Film von Felix van Groeningen. Mit seinen beiden letzten Werken "Die Beschissenheit der Dinge" (2009) und "The broken Circle" (2012) zeigte der junge, aus dem vlämischen Gent stammende Regisseur eindringliche Sozialkritiken mit groteskem Humor. Cafè Belgica wird stärker die Aspekte eines zerissenen Landes zeigen, aus der Perspektive zweier sehr unterschiedlicher Brüder. Dem Publikum kann das Lachen dabei schon mal im Halse stecken bleiben.

Café Belgica, Regie: Felix van Groeningen, B 2016, 127´ OmdU
Do. 5.5. 19.30 Uhr
Sa. 7.5. 22.30 Uhr

3. Aloys
Auch der Spielfilmwettbewerb hat Spannendes zu bieten. Aloys, eine schweizerisch-französische Koproduktion des Regisseurs Tobias Nölle reizt mich besonders durch eine Besprechung, die das Poetische des Films hervorhebt. Diese gelingt in einer Referenz der Geschichte an die Erzählform Film und spiegelt so die irreale Realität, in der die Hauptfigur Aloys wie in einer Second Life Rolle gastiert. Aha. Will ich sehen! Und natürlich auch Hauptdarsteller Georg Friedrich, der in vielen Filmen mit einem wundervoll dahingemungscheltem Österreichisch auftritt. Aanfach leiwand!
Er war des öfteren beim filmkunstfest M-V zu sehen, z.B. in 'Über uns das All', Gewinner des Fliegenden Ochse 2011.

Aloys, Regie: Tobias Nölle, CH/F 2016, 91‘
Do. 5.5. 14.30 Uhr
Fr. 6.5. 22.30 Uhr

4. Usedom Krimi: Engelmacher
Die Ostsee, ein Krimi, ein Oscargewinner. Das reicht eigentlich schon, um diesen Film von Regisseur Jochen Alexander Freydank, dessen Kurzfilm "Spielzeugland" 2009 mit dem Preis der Akadamie ausgezeichnet wurde, weit nach oben auf die Liste zu setzen. Mehr möchte ich auch gar nicht wissen, so bleibt die Spannung erhalten. Ausser, dass mit Katrin Sass eine gute Bekannte des Filmkunstfestes in der Hauptrolle zu sehen ist, auch persönlich bei der Uraufführung am 4.5. in Schwerin.

Engelmacher, Regie: Jochen Alexander Freydank,  D 2015, 90‘ - Uraufführung
Mi. 4.5. 16.30 Uhr
Sa. 7.5. 20.00 Uhr

5. 24 Wochen
Der Film 24 Wochen von Anne Zohra Berrached ist allein deshalb bemerkenswert, weil er als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war. Auch hier ist der Cast ein weiteres Argument: Julia Jentsch, Bjarne Mädel und Maria Dragus, Nachwuchdarstellerpreis in Schwerin 2013.

24 Wochen, Regie: Anne Zohra Berrached, D 2016, 102‘
Mi. 4.5. 16.45 Uhr
Sa. 7.5. 11.00 Uhr

6. Parchim – International Airport
Das ist jetzt reine Neugierde. Wie oft schon bin ich mit dem Fahrrad an dem riesigen Gelände in Parchim entlanggefahren und dachte, Mensch, mächtig gewaltig, aber was passiert hier eigentlich? Nun möchte ich wissen, wer dieser geheimnisvolle Herr Pang ist und was er dort vor hat. Ich hoffe ich erfahre es in diesen 90 Minuten.

Parchim International Airport, Regie: Stefan Eberlein, D 2015, 90´
Mi. 4.5. 19.00 Uhr
So. 8.5. 18.15 Uhr

7. Ich bin tot, macht was draus!
Das sieht sehr nach einer schrägen Komödie mit schwarzem Humor aus. So schwarz vielleicht, wie es sonst nur englische Komödien mit schwarzem Humor sind. Eine Band bestehend aus Motorradrockern, die Asche eines verstorbenen Bandmitglieds im Gepäck, eine geheime homoerotische Romanze. Das sind schon Zutaten genug für herrliche Situationskomik. Klischee hin oder her, das wird ein lustiger Abend/Vormittag.

Ich bin tot, macht was draus! Regie: Guillaume und Stéphane Malandrin, B/F 2015, 96´ OmdU
Sa. 7.5. 19.30 Uhr
So. 8.5. 11.15 Uhr

8. Agnes
Ein Spiel zwischen zwei Ebenen, Realität und Fiktion spielen die beiden Protagonisten. Frau trifft Mann, er schreibt ihre gemeinsame Geschichte. Doch was ist letztendlich wichtiger: Dramaturgie oder Liebesglück? Ein Film nach dem Bestseller von Peter Stamm.
Odine Johne erhielt für Ihre Darstellung der Agnes den Nachwuchsdarstellerpreis auf dem Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken.

Agnes, Regie: Johannes Schmid, D 2016, 105‘
Mi. 5.5. 19.15 Uhr
Sa. 7.5. 13.15 Uhr

9. Vom wir zum ich
Wenn in den späten 1980er Jahren ein britisches Filmteam in der DDR Interviews mit Werftarbeitern und Fischern drehen darf und 25 Jahre später die gleichen Menschen erneut befragt,  dann entsteht mehr als ein Zeitdokument. Eine Reise ins Rostock von 1987 mit Rückschau aus der heutigen Perspektive.

Vom wir zum ich, Regie: Richard Grassick, Ellin Hare, Peter Roberts, Beatrix Wupperman, D/GB 2016, 85‘ - Uraufführung
Mi. 5.5. 22.15 Uhr
Sa. 7.5. 17.30 Uhr

10. Offline – Das Leben ist kein Bonuslevel
Der Titel dieses Beitrages im Kinder- und Jugendfilmwettbewerb gibt das Programm vor. Der 17-jährige Jan lebt in seiner digitalen Fantasiewelt auf Level 57. Und mir fällt auf, dass ich Filme mag, in denen Fantasiewelten auf die Realität treffen. Wie Jan reagiert, wenn die Realität an Level 57 anklopft, erzählt dieser Beitrag des Kinder- und Jugendfilmwettbewerbs.

Offline – Das Leben ist kein Bonuslevel, Regie: Florian Schnell, D 2016, 87‘
Di. 4.5. 17.15 Uhr
So. 8.5. 14.30 Uhr

Nur ganz knapp nicht in meine Top 10 geschafft haben es diese Filme:

Homo Sapiens, Dokumentarfilmwettbewerb
Lange, kunstvoll inszenierte Einstellungen von verlassenen Orten der Zivilisation.

Kommen Rührgeräte in den Himmel? Dokumentarfilmwettbewerb
Über Langlebigkeit und Sollbruchstellen

Polizeiruf 110 – Im Schatten, NDR-Special
Der Rostocker Poizeiruf in Kinovorpremiere. Anneke Kim Sarnau ist am 4.5. im Capitol.

Liebe Halal, Spielfilmwettbewerb
Islam und die Liebe, wie geht das zusammen? Eine heitere Betrachtung.

Die Beunruhigung, Hommage für Christine Schorn
Trotz einfachem Produktionsaufwand einer der Publikumslieblinge der DEFA-Filme.

Notaufnahme – Wenn Fremde näher kommen
Flüchtlinge in M-V. Der neue Film von Dieter Schumann

Und natürlich die Kurzfilmnacht! Und die Kurzfilmrollen und der Fokus Baltikum, besonders die Podiumsdiskussion zum politischen Wandel in Polen, dann die Belgische Big-Band "Flat Earth Society" und .... ach, ich empfehle Dauerkarte. Bis bald im Kino!


Oliver Hübner war von 2009 bis 2013 Mitarbeiter beim filmkunstfest M-V für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie in der Programmredaktion.