Anna und der Weihnachtshase (Teil 18)

  • regge vom schulzenhof
Eine Adventsgeschichte zum Lesen und Gucken, zum Zuhören und Staunen. Ein Weihnachtsmärchen in 24 Teilen, die die Zeit bis Heiligabend verkürzen soll.
18.12.2014
Roland Regge-Schulz

18. Dezember

„Papa, ich habe den Weihnachtsmann gesehen!“
Annas Vater fällt fast die Tasse aus der Hand als seine Tochter zum Frühstück in die Küche stürmt, „gestern im Einkaufszentrum. Er hatte eine grüne Jacke wie du und hat meinen Hasen abgeholt.“
„Was hat er?“,fragt der Vater und bekommt rote Wangen.
„Na meinen Hasen aus der Zoohandlung abgeholt“, Anna schüttelt den Kopf über so viel Unverständnis, „weiß doch jedes Kind, dass der Weihnachtsmann verkleidet einkaufen geht. Wäre ja auch blöd wenn er mit roter Mütze und rotem Mantel einkaufen würde. Dann wüsste ja jeder gleich, dass er der Weihnachtsmann ist und futsch wäre die Überraschung an Heiligabend.“
Annas Vater atmet erstmal tief durch, ehe er sagt: „Du mit deinem Hasen, bringst mich noch völlig durcheinander. In den letzten Tagen wünschen mir alle möglichen Leute Frohe Ostern. Kannst du mir vielleicht erklären warum?“
Jetzt wird Anna rot. Sie denkt an die Plätzchenbäckerei mit ihrem Vater. Und sie denkt daran, wie sie ein ganzes Blech mit Hasen gebacken hat. Und daran, wie sie am Abend in jede von Papas Geschenktüten einen Hasen hinein geschummelt hat.
„Das war so“, sagt Anna und versucht sehr ernst auszusehen, „ich hatte doch so viele Hasen gebacken. Viel zu viele. Na ja, und wenn ich die alle gegessen hätte, wäre mir bestimmt furchtbar übel geworden. Und da habe ich sie zu deinen Keksen getan.“
Annas Vater schüttelt den Kopf: „Du und dein komisches Kaninchen.“
„Hase“, sagt Anna, „Hase heißt dass. Papa, du redest auch schon so, wie dieser komische Händler.“
Und bevor ihr Vater etwas sagen kann, fragt Anna: „Papa, ist so ein Hase eigentlich teuer? Ich meine, kostet er mehr als Schlittschuhe?“
„Nein“, lacht der Vater, „so ein Kaninchen kostet nicht allzu viel. Aber alles was dazugehört, dass geht ganz schön ins Gold. Du brauchst einen Käfig, Heu und frischen Sand darin und täglich Futter.“
Anna denkt nach und fragt: „Reicht mein Taschengold dafür.“
„Ja, dein halbes Taschengold würde schon gut für Futter und Heu reichen.“
„Gut“, freut Anna sich, „mein Hase wird es gut haben bei mir. Er wird nicht verhungern. Und einen Käfig kann ich ihm vom Gold aus meinem Sparschwein kaufen.“
Annas Vater sagt gar nichts mehr. Was auch? Anna glaubt so fest daran, dass der Weihnachtsmann ihr den Hasen bringt.
„Hoffentlich wirst du nicht enttäuscht“, murmelt der Vater.
Anna guckt ihn mit großen Augen an: „Was hast du gesagt, Papa?“
„Ach, nichts mein Kind.“

Am Nachmittag geht Anna mit ihrem kleinen Bruder J.A.N. spazieren. Dem geht es inzwischen wieder recht gut. Fast vergessen ist die Erkältung, die er sich geholt hatte, als er ins Eis des Mühlenteichs eingebrochen war. Nur ein hartnäckiger Husten schüttelte ihn noch ab und an. Frische Luft brauche er, behaupten die Eltern und Anna bietet sich für einem ausgiebigen Spaziergang mit J.A.N. an. Natürlich nicht ohne Hintergedanken. Anna will mit J.A.N. in den Tiergarten gehen. Denn im Tiergarten gibt es Lachlöwen, karierte Zebras, Skiraffen und Karibus zu bestaunen. Ja genau, Karibus. So heißen die Rentiere, die der Weihnachtsmann vor seinen Schlitten spannt und mit ihnen um die Welt fliegt. Aber kann man mit einem Karibuschlitten tatsächlich an einem Tag um die ganze Erde fliegen. Die ist doch riesengroß. Das hält auch das stärkste Rentier der Welt nicht aus.
Und deshalb macht der Weihnachtsmann es so, wie früher die Menschen, als sie noch mit Postkutschen reisten. Damals gab es extra Stationen, in denen die Pferde gewechselt wurden. Die erschöpften durften sich dort erholen, während die ausgeruhten eingespannt wurden und weiter ging die Fahrt.
Genau so funktioniert es mit den Rentieren vom Weihnachtsmann vor. Überall auf der Welt gibt es Tierparks und Zoos in denen der Weihnachtsmann seine Rentiere unterbringt. Er braucht sie nur einen Tag lang und den Rest des Jahres sind sie so gut versorgt. Am Heiligabend, wenn er um die Erde fliegt, fliegt er von Tierpark zu Tierpark, von Zoo zu Zoo und tauscht immer wieder die erschöpften gegen ausgeruhte Tiere aus. Durch diesen Wechsel kommen die Karibus im Laufe der Jahre ganz schön rum in der Welt und es wird ihnen nicht langweilig.

Die Hüterin des Tiergartentores freut sich, dass heute überhaupt Besucher kommen. Das eisig kalte Wetter lockt niemanden in den Tiergarten. Die meisten Tiere haben sich in ihre festen Unterkünfte verzogen, sitzen am warmen Ofen und spielen Mau-Mau oder pokern wie die Lachlöwen. Und weil es kaum etwas zu sehen gibt, und die Torhüterin ihren guten Tag hat, lässt sie Anna und J.A.N. hinein, ohne dass sie Eintrittsgold kassiert.
Jan hopst vor Freude auf und ab als sie an den Käfigen vorbei schlendern. Er geht für sein Leben gern in den Tiergarten. Selbst wenn es bei der heutigen Kälte wenig zu sehen gibt. Nur den sibirischen Schneeantilopen macht die Kälte nichts aus. Die liegen faul herum. Auch die Erdbeereisbären und die Ping-Pong-Guine fühlen sich sichtlich wohl.
Anna bleibt vor einem Gatter stehen: „Schau J.A.N., das sind die Rentiere vom Weihnachtsmann.“
„Quatsch“, lacht ihr Bruder, „die sind am Nordpol.“
Anna winkt ab. J.A.N. würde es sowieso nicht verstehen. Das größte, stärkste Karibu kommt zu Anna, als hätte es verstanden, was sie sagte.
J.A.N. findet Rentiere langweilig und geht weiter. Anna schaut sich blitzschnell um, dann greift sie in ihre Jackentasche und holt eine Mohrrübe heraus. Die steckt sie dem Rentier blitzschnell ins Maul, wohl wissend, dass die Tiere nicht gefüttert werden dürfen.
„Die ist für dich“, flüstert Anna und streicht dem Rentier über den Kopf. Falls euch heute oder morgen Abend der Weihnachtsmann abholt, für eine Proberunde, dann nimm das hier bitte für meinen Hasen mit. Ich möchte doch, dass es ihm gut geht. Blitzschnell steckt sie dem Rentier drei weitere Mohrrüben durchs Gitter.
„Anna, wo bleibst du“, ruft J.A.N..
„Ich komme schon.“

Es wird Zeit, nach hause zu gehen. Die Dämmerung beginnt früh in diesen Tagen, den kürzesten des Jahres.
In der Nacht träumt Anna wieder von ihrem Hasen. Er sitzt vor dem Kamin auf dem Schoß des Weihnachtsmanns und mümmelt eine von ihren Mohrrüben.