Die Donaldisten kommen
Sie verstehen bis hier nur Donald, ähm, Bahnhof? Macht nichts. Rainer Bechtel kennt das schon. „Wenn man ihm zum ersten Mal begegnet, dann ist Donaldismus eine ungewöhnliche Sache.“ Er hat Verständnis für viele Fragen. Und noch mehr Geduld, sie zu beantworten. Im Grunde, so sagt er, haben alle Donaldisten eines gemeinsam: Sie sind mit Donald Duck aufgewachsen. Jenen Geschichten, denen der amerikanische Comiczeichner Carl Barks ihren unverwechselbaren Charakter gegeben hat.
Rainer Bechtel hat sie als Kind verschlungen. Nie weggeschmissen. Im Erwachsenenalter immer wieder hervorgekramt. „Irgendwann stellt man sich die Frage: Wieso haben die Ducks Zähne – und gebrauchen sie gar nicht zur Nahrungsaufnahme? Wieso gibt es in Entenhausen das Dezimalsystem, obwohl die ganze Familie Duck an jeder Hand nur vier Finger hat? Wenn man anfängt, sich bei diesen Fragen diverse Antworten zurechtzulegen, sie untersucht und vergleicht, dann ist das der Einstieg in die empirische Wissenschaft.“ Donaldismus eben.
„Duck", nicht „dack"
„Donaldisten gibt es seit 1977 in Deutschland. Grundlage für unsere Betrachtung von Entenhausen und Familie Duck sind die Geschichten von Carl Barks und deutschen Übersetzungen von Dr. Erika Fuchs.“ Wenn Rainer Bechtel von Donald Duck spricht, sagt er „duck“. Nicht „dack“, wie es die Allgemeinheit vermutlich tun würde. Für ihn ist „dack“ „ein lustiges Matrosenmännchen aus Trickfilmchen und lustigen Taschenbüchern“ – aus donaldistischer Sicht aber ohne Bedeutung.
Die „Deutsche Organisation nichtkommerzielle Anhänger des lauteren Donaldismus“ hat über ganz Deutschland verteilt 900 Mitglieder, darunter viele Akademiker, Doktoren, Professoren. Vom Astrophysiker über Psychotherapeut und Stadtplaner bis Klimaforscher sei alles dabei. „Die meisten von ihnen forschen auf ihrem Fachgebiet in Entenhausen.“ Fragen sich etwa, ob Donalds Neffen Tick, Trick und Track ADHS, also eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, haben oder wie das Klima in Entenhausen ist. Sie stellen Theorien auf, halten Vorträge, geben ihre neuen Erkenntnisse bei Stammtischen oder auf dem jährlichen Kongress weiter.
Ein dreifaches Klatsch!
Wer heute 40 ist, ist einer der jüngeren Donaldisten. Vermessungstechniker Bechtel ist 44. Der Kölner hat schon alle Reaktionen auf sein Hobby erlebt: echtes Interesse. Müdes Lächeln. Spott und Hohn. Donaldisten selbst legen großen Wert auf die Ernsthaftigkeit ihrer Wissenschaft. Ihr Ansatz: „Wissenschaft definiert sich nicht über das Thema, sondern über die Methode.“
Donaldist Jürgen Wollina, zum Beispiel, habe aus allen geschätzten 52.000 Einzelbildern, die Carl Barks gezeichnet hat, akribisch jede geografische Information über Entenhausen herausgezogen, erzählt Rainer Bechtel. Denkmäler, Bahnhöfe, Postämter, Leuchttürme, Düsentriebs Labore, Dagoberts Geldspeicher, Tankstellen, Kirchtürme – alles kam in eine Datenbank, wurde logisch miteinander verknüpft und wie Puzzleteile zu einem Stadt- und Umgebungsplan von Entenhausen zusammengesetzt. 13 Jahre habe das gedauert. Ein großer donaldistisch-wissenschaftlicher Erfolg, für den Jürgen Wollina vermutlich viele „Klatsch, klatsch, klatsch“-Rufe bekam. So applaudieren Donaldisten.
Und was ist mit dem Dezimalsystem, das sich in Entenhausen nicht an acht Fingern abzählen lässt? „Darauf gibt es noch keine endgültige Antwort.“ Vielleicht ändert sich das ja am 21. März 2015 beim Kongress in Schwerin. Denn wie schon gesagt: Donaldisten sind, im besten Sinne, unberechenbar.