Flötentöne für die Toten

Ein Sonntagmittagspaziergang auf dem Alten Friedhof. Die Kinder flitzen von links nach rechts, um Kastanien aufzulesen. Die Eltern flitzen hinterher, um die Beute in Empfang zu nehmen. An der Kirche dringt plötzlich gedämpfte klassische Musik durch das Kinderstimmengewirr.
05.10.2014
dieschweriner

Zarte Melodien, traurig und stimmungsvoll, auf jeden Fall gekonnt. Die Kinder suchen die Quelle der Töne. Zwischen den Gräbern, gut geschützt von Sträuchern und Bäumen, sitzt eine alte Frau und spielt Flöte. Vor ihr steht ein Notenständer. Die Kleinen winken ihr zu. Die alte Frau lächelt und winkt zurück. Die Großen haben Tränen in den Augen.

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Jeder Ton wird von Fragen begleitet, von rührenden Gedanken, traurigen Episoden. Spielt Sie für ihren verstorbenen Mann, vielleicht seine Lieblingsstücke? Spielt sie auf der Flöte eines verlorenen Kindes, für das Kind? Spielt Sie den Toten vor, weil auch zu Hause niemand ist, der ihre Musik hören kann? Oder genießt sie hier einfach die Ruhe und Stille, um ungestört musizieren zu können?

Die Kastaniensuche geht weiter, die Flötenuntermalung auch. Wie lange mag das Konzert schon dauern? Eine gute halbe Stunde genießt die Familie den besonderen Moment mit Kindergelächter, Kastanien und Klassik. Dann wird es still. Wenige Meter entfernt schiebt die Flötenfrau ihr Fahrrad zwischen den Gräbern davon. Sie blickt sich noch einmal kurz um und lächelt. Danke für das Privatkonzert.