Die Katastrophe nach der Katastrophe

  • Mario Lars
Eine Woche ist es jetzt her, als Flug 4U9525 in den Alpen ein jähes Ende nahm, als alle 150 Menschen an Bord starben. Seit einer Woche werden wir mit Vermutungen, Halbwahrheiten und Spekulationen bombardiert, werden wir zu Voyeuren gemacht, nicht einen Deut besser als die Unfallgaffer auf der Autobahn. Eine mediale Katastrophe. Ein Ausweg.
31.03.2015
Anmerkungen von Roland Regge-Schulz

Ich brauche keine Bilder aus Haltern am See, ich will sie nicht. Ich kann mir auch so sehr gut vorstellen, was in den Köpfen von Vater und Mutter vor sich geht, deren Kind nicht mehr nach Hause kommen wird. Nie mehr. Ich mag es mir nicht vorstellen.
Dazu braucht es keine den Ort zuparkenden Übertragungswagen und keine Kamerateams, die die Menschen in ihrer Trauer belästigen.

Ich brauche keine Nachricht, dass sich die Bundeskanzlerin vor Ort ein Bild von der Lage gemacht hat. Und der Außenminister. Und der Verkehrsminister. Und die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Sie wollten nicht helfen, weil klar war, dass sie gar nicht mehr helfen konnten. Sie konnten nur gaffen.

Und vor allem will ich nichts persönliches über den Co-Piloten des Flugzeuges wissen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat er die Maschine abstürzen lassen. Nur mit hoher Wahrscheinlichkeit. Bewiesen ist das noch nicht. Wenn er nun auch Opfer war, haben wir kein Recht in seinem Leben herumzuwühlen. Und wenn er Täter war, gehört er totgeschwiegen.
Ich will nicht wissen, ob er irgendwann mal psychische Probleme hatte oder einen eingewachsenen Fußnagel. Ich will nichts über das Verhältnis zu seiner Freundin wissen oder seine sexuellen Vorlieben, sein Auto, seine Wohnung, seine Lieblingsgerichte.
Mit Namen und Adresse, wird sein Leben zum Begaffen freigegeben.
Sein Name wird bleiben, sein Leben immer wieder hervorgekramt werden, wenn ein Flugzeug in der Luft wackelt, ein Amokläufer Menschen tötet, ein Selbstmörder andere mit sich in den Tod reißt. Ein mediales Denkmal, dass seinen Namen weit nach dem Tod leben lässt. Ein Denkmal auf dem Fundament von 149 anderen Menschen an Bord von Flug 4U9525.

Ich wünsche mir, dass sich 150 Schriftsteller hinsetzen und die 150 Leben der Menschen an Bord des Germanwings-Fluges zu Ende schreiben. Die 150 Leben, die nicht zu Ende gelebt werden konnten. 150 Lebensgeschichten vereint in einem Buch. Ein Andenken an die, die nichts dafür konnten. Und wenn die Schuld des Co-Piloten bewiesen ist, dann gehört seine Geschichte an den Anfang des Buches. Sein Leben endet, wenn die anderen beginnen.
Ein Buch des Lebens. Eine mediales Leuchtfeuer.