Anna und der Weihnachtshase (Teil 2)

  • regge vom schulzenhof
Eine Adventsgeschichte zum Lesen und Gucken, zum Zuhören und Staunen. Ein Weihnachtsmärchen in 24 Teilen, die die Zeit bis Heiligabend verkürzen soll.
02.12.2014
Roland Regge-Schulz

2. Dezember

Als Anna, die kleine Stadtfee aufwacht, möchte sie am liebsten den Tag wieder ins Bett schicken und weiter schlafen. Sie hat so wunderbar geträumt in dieser Nacht. Die verrücktesten Abenteuer hat sie erlebt. Und immer dabei, war ihr neuer Freund, der schneeweiße Hase. Mal passte er winzig klein in ihre Jackentasche. Und dann wuchs er plötzlich so groß, dass sie auf ihm reiten konnte. Und nun ist er weg.  Anna zieht sich die Decke über den Kopf, dreht sich nach links und nach rechts, aber was sie auch versucht, einschlafen kann sie nicht mehr. Die Aufregung hält Anna wach. Also springt sie aus dem Bett ins gelbe Zimmer, dem Zimmer  ihrer Eltern. Die schlafen noch tief und fest. Anna zieht ihrem Vater an der Nase: „Du Papa, wach auf, wach auf.“
Erschrocken schlägt er die Augen auf: „Ist etwas passiert?“
Anna lacht: „Ich muss dir von meinem Weihnachtswunsch erzählen.“
„Oh, nein, Annabenitacecilia“, brummelt der Vater und mit Blick auf den Wecker, „viel zu früh.“ Und schon schließt er die Augen wieder.
Dafür wacht Annas Mutter auf. Aber auch sie gähnt nur müde: „Lass mal gut sein Kleines, das hat doch bestimmt Zeit bis zum Frühstück. Weißt du, wir sind wirklich noch hundemüde. Es war ganz schön spät gestern abend. Und sehr anstrengend.“
Aber natürlich, gestern war ja Papas Geburtstagsfeier und die Eltern haben bestimmt bis spät in die Nacht mit Klabauterkalle und Hans dem Troll gefeiert. Leise schleicht Anna aus dem gelben Zimmer in die Küche. Sieht die wild aus. Hier können sie unmöglich frühstücken. Ach, wenn sie doch schon groß wäre und richtig zaubern könnte. Anna macht sich an die Arbeit. Sie lässt die restlichen Schwaden Nebelgeist durchs Fenster ins Freie, räumt bergeweise Teller und Gläser in den Geschirrspüler, das Besteck dazu. Und die großen Töpfe stellt sie in die Abwäsche. Dann wischt sie den Tisch sauber und schon sieht die Küche einigermaßen ordentlich aus. Anna lauscht. Immer noch alles ruhig. Noch immer schlafen alle. Ungeduldig deckt Anna schon mal fürs Frühstück. Keiner wird wach.
Anna schürt das Feuer und brüht zwei große Tassen starken Kaffee. Dieser Duft wird die Eltern bestimmt wecken. Extra weit öffnet sie alle Türen. Doch im gelben Zimmer rührt sich immer noch nichts. So nimmt Anna die Tassen fest in ihre Hände und tippelt hinauf, vorsichtig, damit nichts überschwappt.
„Der Kaffee ist fertig!“ ruft sie, während sie sich auf die Bettkante setzt.
Die Mutter schnuppert: „Hmmmm.“
„Das riecht aber gut“, brummelt auch Annas Vater und knipst die kleine Lampe an.
Und während die Eltern den Kaffee schlürfen, sprudelt es aus Anna heraus. Sie erzählt von ihrem Hasen im Traum. Wie er mal groß und dann wieder klein war. Und sie erzählt, dass sie sich dringend so einen Hasen wünscht, zu Weihnachten.
„Bitte“, sagt Anna und schaut ihre Eltern mit großen Augen an.
Eine Weile herrscht Ruhe.
Dann sagt der Vater: „So, so, einen Hasen also.“
Und die Mutter sagt: „Aber du wünscht dir doch Schlittschuhe.“
Anna nickt erst und dann schüttelt sie den Kopf: „Ja, dass war früher, jetzt eben nicht mehr.“
Und der Vater sagt: „Wozu brauchst du einen Hasen? Du kannst doch mit deinem Bruder spielen.“
Anna schüttelt wieder den Kopf: „J.A.N petzt ein Hase nicht."
Und die Mutter seufzt: „Ach, Annchen, wir haben doch nun wirklich genug Leben im roten Haus.“
Anna gibt nicht auf: „Ein Hase schreit nicht, brüllt nicht, kreischt nicht. Der mümmelt nur ganz leise.“
Und der Vater: „Aber Kind, muss es denn ein Hase sein? Wir haben bald Weihnachten und nicht Ostern.“
Anna entgegnet: „Osterhasen gibt es viele. Ich aber wünsche mir einen Weihnachtshasen.“
Und dann fragt sie: „Bekomme ich nun einen Weihnachtshasen oder nicht?“
Der Vater zuckt die Schultern: „Woher soll ich das wissen. Ich bin doch nicht der Weihnachtsmann.“
Das stimmt. Anna grübelt.
Es hat wenig Zweck, weiter bei den Eltern zu betteln, die werden ihr keinen Hasen schenken. Anna muss sich direkt an den Weihnachtsmann wenden. Beeilen muss sie sich, denn es bleiben nur noch wenige Tage bis Heilig Abend. Sie muss dem Weihnachtsmann dringend einen Wunschzettel malen.

Stundenlang sitzt Anna an ihrem kleinen Schreibtisch. Mindestens zehn Hasen hat sie schon gemalt. Aber keiner will ihr richtig gefallen. Während der Papierkorb überquillt von zerknüllten Blättern, holt Anna sich neues Blatt. Sie weiß, was für einen Hasen sie will. Wenn sie die Augen zumacht, sieht sie ihn klar und deutlich vor sich. Aber der, den sie malt, wenn sie die Augen wieder aufmacht, sieht ganz anders aus. Traurig blickt sie auf den Weihnachtskalender mit den zwei offenen Türchen. Ihr Blick fällt auf das kleine Hasenbild hinter der ersten Tür. Schnell borgt sie sich das Vergrößerungsglas, mit dem sich ihr Vater manchmal Briefmarken anschaut. Damit sieht sie den Hasen im Kalender groß und deutlich. Sie braucht ihn nur noch abzuzeichnen. Und jetzt gelingt ihr auch ein wunderbares Bild. Sie schreibt mit dicken roten Buchstaben darüber: Wunschzettel von Anna.
Anna wartet kaum, bis die Farbe trocknet, schon rennt sie los: „Papa, Mama, guckt mal, mein Weihnachtshase.“
„Schön“, sagt die Mutter.
„Hmm“, brummt der Vater und fotografiert schnell Anna mit dem Wunschzettel. Ständig fotografiert er alles. Er hat immer einen Fotoapparat einsatzbereit.
Die Mutter schüttelt den Kopf und sagt, er solle doch wenigstens mal zu Hause seine Arbeit vergessen. Aber der Vater kann nicht anders. Er knipst immer alles und jeden.

Am Abend öffnet Anna ihr Fenster einen kleinen Spalt breit und stellt den Wunschzettel mit dem Bild vom weißen Hasen auf das Fensterbrett. Falls in der Nacht der Weihnachtsmann vorbeikommt und nach Anna schaut, kann er gleich ihren Wunschzettel mitnehmen.