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Gastbeitrag: Straßenköter und die Pille danach
Die Welt wird ehrlicher? Quatsch - der Druck wird größer, sodass die Sorge der bigotten Mogler steigt, dass ihre schöne scheinheilige Lebenswelt auf Kosten der Allgemeinheit - in der es längst kein wirkliches Ungerechtigkeitsgefühl mehr gibt - zerbröseln könnte; so einfach ist das. Weil längst nicht mehr gilt, was einmal selbstverständlich war: Es ist nicht mehr Verpflichtung für 'Die da oben' und für die, die in der Öffentlichkeit stehen, Vorbild zu sein. Das Wort Vorbild steht heute zwischen Politik, Wirtschaft und Dschungelcamp eher für 'viel Geld, viel Macht und viel im Fernsehen'. Und für den Notfall gibt es - bei Steuerdingen - mit der Selbstanzeige die 'Pille danach'.
Im Kern geht es immer um die eigene Moral. Und es geht darum, dass sich Erika Mustermann gelegentlich abschaut, was bei den Erfolgreichen so üblich ist. So wird das Dach in Nachbarschaftshilfe geflickt, die illegale Reinmachfrau gebeten, doch bitte ein paar Straßen weiter zu parken und für die Autoreparatur braucht man keine Rechnung. Dass Mecklenburg-Vorpommern in diesem Zusammenhang offenbar weniger zu beichten hat als andere Länder, heißt dabei nicht viel. 48 Selbstanzeigen und fast zwei Millionen Euro Nachzahlung von 2010 bis heute sind eben auch 48 mal Betrug an der Allgemeinheit, während andere um die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes kämpfen und um das Bekleidungs- und Betreuungsgeld für ihre Kinder ringen müssen. Immerhin ist es von den Fallzahlen her einer der hinteren Plätze. Wenigstens das, denn was könnte man über das Geburtsland des Steuerzahlerpräsidenten sonst alles schreiben!?
Wir leben in einer Gesellschaft mit zunehmender Orientierungslosigkeit, deren selbsternannte oder tatsächliche Vorbilder zwischen den Haltungen 'Ist mir egal', 'Was hab' ich mit denen zu tun?' und 'Hauptsache, es nützt mir' mäandern. Viel zu selten ist es, dass neben der in Talkshows wohlig empfundenen eigenen Größe der Wichtigen und Wichtigtuer auch ein besonderer Anspruch an das eigene ethische Handeln erkennbar wird; Motto: 'Es reicht doch nun wirklich, wenn ich Erfolg habe, Geld und Prominenz'.
Weil es so ist, wie es ist, liegt auf der Hand: Ohne ein eigenes und festes Wertegerüst, an dem man sein Handeln ausrichtet, wird es schwierig. Promis, Adel, Geldadel, Politiker oder Kirchenmenschen können es jedenfalls nicht ersetzen; eine verlässliche Größe für generelles Handeln nach moralischen Maßstäben sind sie ohnehin nicht - und waren es wahrscheinlich nie. Auch diese Erkenntnis ist eine wichtige Botschaft der Schwarzers und Zumwinkels. Wir müssen sie nur verstehen. Wer aus der anderen Botschaft - aus dem 'Sie machen es doch alle' - Kulturpessimismus und einen Freibrief für eigenes verlottertes Handeln ableitet, lässt zu, dass die Eigenentpflichtung der falschen Vorbilder das Gemeinwohl zerstört. Nehmen wir uns also in die Pflicht. Trotz und wegen Schwarzer & Co.
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Thomas Schunck ist Sprecher des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft in Schleswig-Holstein. Zuvor war er Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung.