Getrennte Welten

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Samstag, 15.45 Uhr auf Gleis 2 am Schweriner Bahnhof. Aus dem RE 2 aus Cottbus steigt eine fünfköpfige Familie, Flüchtlinge aus Syrien vielleicht, unterwegs mit Taschen und Tüten und sichtlich erschöpft. Eine Tür weiter steigen ein paar Fremdenfeinde in den Zug. In zwei Stunden werden sie rufen: „Wir wollen keine Asylantenheime.“
06.09.2015
Matthias Hufmann

Sie fahren mit der Regionalbahn an die Küste, zum Aufmarsch „Wismar gegen Asylmissbrauch“, so etwas wie einem Mvgida-Nachfolger, auch wenn die Organisatoren davon nichts wissen möchten. Einige Teilnehmer aus Schwerin kennen sich von den rechten Demos Anfang des Jahres in der Landeshauptstadt. Der frühere Anmelder Torsten S. wird mitlaufen, ehemalige Ordner, ein Kameramann, der soviel fotografiert, als wolle er Freund und vor allem Feind katalogisieren.

In Schwerin sind ein paar schwarz gekleidete Jugendliche mit kurzgeschorenen Haaren am Bahnhof, ein jüngerer Mann in New-Balance-Schuhen zieht sich im Zug eine Jacke übers Hansa-Shirt, nicht weit entfernt sitzt ein älterer mit Ansgar-Aryan-Basecap. Die meisten von ihnen sind gerade an der geschlossenen Bahnhofsmission vorbei, in der Unterführung also, wo in den vergangenen Tagen mehr als 200 Flüchtlinge betreut wurden.

In Wismar sammeln sich die Fremdenfeinde am Busbahnhof. 300 zählt die Polizei. Der Marsch durch die Hansestadt verzögert sich, weil einzelne Teilnehmer zu betrunken sind oder ihr tätowiertes Hakenkreuz zur Schau stellen. Es konnte eine Vielzahl festgestellt werden, „die dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen sind“, heißt es später im Bericht der Polizei. Es ist - eine Neonazi-Veranstaltung. „Gemeinsam für die Heimat“, so lautet das Motto. Nur: Heimat ist hier der rechte Rand.

Hunderte Menschen protestieren auf dem Markt und in den Straßen von Wismar lautstark für Solidarität mit Flüchtlingen und gegen rechte Hetze. Die Polizei führt den Aufmarsch an einer Sitzblockade vorbei. Die Polizeiinspektion Wismar ist im Einsatz, Kräfte aus Hamburg und der Bereitschaftspolizei in MV. Am Himmel kreist ein Hubschrauber. „Da ist Caffier drin“, sagt jemand und lacht. Der Innenminister hat am Freitag in einer Pressemitteilung eigens vor der rechten Demo gewarnt: „Dahinter verbergen sich rechtsextremistische Propagandisten, die die aktuelle Situation (…) ausnutzen wollen, um unsere demokratische Gesellschaft zu vergiften.“

Um kurz nach 19 Uhr ist der Spuk vorbei. Nach einer kurzen Ansprache am ZOB fahren die meisten Teilnehmer mit dem Auto nach Hause. Einige nehmen die Regionalbahn Richtung Cottbus, um wieder nach Schwerin zu kommen. Sie müssen laut Anweisung der Polizei im hinteren Teil des Zuges einsteigen, vorn sitzen die anderen Reisenden. Getrennte Welten auch hier.

Am Abend werden in Wismar zwei Asylbewerber mit einer Flasche beworfen. Die Täter sind Rechtsextreme.

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