Der Sonntag der Zehntausend

  • Stadtarchiv Schwerin
    Ein Schnappschuss vom Tag der Einweihung. Bevor der Strandabschnitt aufgeschüttet wurde, lagen zwischen Promenade und Ufer nur drei bis vier abschüssige Meter. Die Strandpromenade selbst wird erst ein Jahr später fertig.
Zippendorfs großer Tag wird 90 Jahre alt. Der Promenadenweg, ein Wimmelbild voller Schweriner. Rechts halten überfüllte Straßenbahnen. Links liegen die Dampfer tiefer im Wasser als sonst. Ihr aller Ziel an jenem 10. Mai: die Strandweihe.
29.04.2015
Sylvia Kuska

Der Weg dahin ist lang. Von einem Strand halten die Stadtoberen jahrelang nichts. Auch nicht, als das Strandhotel und das Kurhaus 1912 öffnen. Der Seeblick – einmalig. Nur geruchsempfindlich, das dürfen die Gäste nicht sein. Der Strand: eine Müllhalde. Das Ufer: stinkig. Die Spazierwege: oft schlammig. „Der Magistrat rührte keinen Finger, das allgemeine Ambiente an das gehobene Niveau der beiden neuen Hotels anzupassen“, schreibt Bernd Kasten in seiner Geschichte der Stadt.
Sich darüber aufzuregen kann teuer werden. Einen Bankangestellten kostet der Vorwurf, dem Magistrat jede Kleinigkeit abbetteln zu müssen, „wegen unpassender Schreibweise“ 20 Mark Strafe.

Auf die Behörden setzen – bringt nichts. Die Idee vom Strand aufgeben – will er nicht. Selbst ist also der Mann, sagt sich Möbelfabrikant und Stadtrat Heinrich Schultz. Erst gründet er den Strandverein, dann rührt er die Werbetrommel: „Gebt alle Ihr mit offener Hand, ein Scherflein hier für euren Strand.“ Das Land gibt Gelände. Und die Leute öffnen ihr Portmonees und Firmenkassen. Ein ehemaliger Schweriner schickt aus Buffalo 550 Dollar. Prinz Heinrich der Niederlande, ein gebürtiger Schweriner, überweist 700 Gulden. Auch Rat und Bürgerschaft lassen sich nun nicht länger lumpen. Zunächst reicht das Geld für 100 Meter, dann noch mal für 250. Am Ende werden es 600 Meter bis zum Zippendorfer Wäldchen. 12.000 Kubikmeter Erde und Sand werden bewegt. Der Länge nach und drei Meter weit ins Wasser. Deshalb geht es auch heute noch so kinderfreundlich flach hinein. Kosten: 15.000 Mark. Nur richtiger Buddelsand, der fehlt noch. Der erste Kahn voller Seesand kommt drei Wochen später.

Die Straßenbahn nach Zippendorf ist schon seit Mittag überfüllt. Dass sie an jenem Sonntag mit fünf Wagen unterwegs ist, hilft wenig. „Hunderte machen sich zu Fuß auf den Weg. Auf dem Promenadenweg wälzt sich ein unterbrochener Strom von Erwachsenen und Kindern“, steht am nächsten Tag in der  Mecklenburgischen Zeitung. Dazu die Dampfer und „ein Gewimmel von Ruder-, Segel- und Motorbooten und zierlichen Kanus“. 10.000 Besucher sollen es gewesen sein. „Nicht konnte die Bedeutung der Strandweihe sichtbarer dokumentiert werden, als durch diesen Massenbesuch“, schreibt die Zeitung. „Es war wirklich ein reizvoller Anblick, ob man nun mittendrin war oder von der Höhe des Kurhauses das Ganze überschaute. Erst jetzt wurde man sich so recht bewusst, was vordem Zippendorf gefehlt hat.“

(Quellen: Mecklenburgische Zeitung vom 11. Mai 1925; Udo Brinker, Chronik der Stadt Schwerin: von den Anfängen bis zur Gegenwart und Bernd Kasten: Schwerin – Geschichte der Stadt)