Die Kindergärtnerinnen vom Märchenschloss

  • Stadtarchiv
    Schülerinnen der Pädagogischen Schule in den 1950er Jahren auf der Haupttreppe im Schloss.
  • Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege, R. Schmidt
    Der Thronsaal als Klassenzimmer.
In den knapp 100 Jahren nach dem Auszug des Großherzogs anno 1918 wurde im Schweriner Schloss gelernt, geforscht, gebetet, gelitten und gesammelt. Die Pädagogische Schule für Kindergärtnerinnen und das Polytechnische Museum sind vielen Schwerinern noch in guter Erinnerung. Andere „Schlossbewohner“ geraten langsam in Vergessenheit. So waren im Schloss unter anderem ein Kindergarten, ein Lazarett, fünf Museen und ein Volksbildungsministerium untergebracht. Der Landtag hat diese wechselvolle Nutzungs-Geschichte seines Sitzes in einem Buch zusammengefasst. Wir blättern darin.
29.03.2014
Andreas Frost

In den Anfangsjahren verbreiteten Lautsprecher morgens Geburtstagswünsche, abends verteilte Schlagersänger Freddy Quinn auf demselben Weg „brennend heißen Wüstensand“. Bis zu 600 junge Frauen wurden in den 1950er Jahren täglich vom „Schulfunk“ geweckt. Knapp 30 Jahre lang war das Schweriner Schloss Schule und Internat. Keine andere Institution hat das Schloss in den vergangenen hundert Jahren über einen so langen Zeitraum derart belebt, wie die „Schlossgeister“ und die „Burgfräulein“, die in der Pädagogischen Schule vor allem zu Kindergärtnerinnen ausgebildet wurden.

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Nach der Auflösung der Länder in der DDR zum 1. August 1952 wurde im Schloss der Landtag geschlossen, die anderen dort untergebrachten Behörden zogen aus. In Rekordzeit wurden vom Keller bis zu den Dachkammern Doppelstockbetten und Schulbänke aufgestellt. Bereits in den ersten Jahrgängen wurden jeweils 275 Mädchen auf ihren Beruf vorbereitet. Unter sie mischten sich vom Herbst 1952 an für ein Jahr auch fünf junge Männer, die Heimerzieher werden wollten. Die Mädchen wohnten im fünften Stock in den ehemaligen „Gesindekammern“ oder in fast fensterlosen Kellerräumen. Manche freuten sich über ihr Turmzimmer mit Seeblick, andere teilten sich zu zwölft ein Durchgangszimmer. Weil es an Stauraum für persönliche Utensilien mangelte, wurde selbst der Bücherschrank in der ehemaligen Bibliothek des Herzogs, in der tagsüber unterrichtet wurde, in eine Schrankwand umgewandelt.

Nur im Keller gab es Duschen. Auf den Etagen waren lediglich Waschbecken und einige neue Toiletten installiert worden. Der frühere Plenarsaal wurde zur Aula umfunktioniert, in der Orangerie wurde Sport getrieben und die Hofdornitz war aufgeteilt in einen Gymnastikraum und eine Bibliothek. Das heutige Schloss-Cafe war Speiseraum, daneben schlossen sich die Küche, zwei weitere Speisesäle und Lagerräume an. Im Thronsaal stand ein Klavier, weil er sich mit seiner guten Akustik hervorragend für den Musikunterricht eignete. Der schönste Klassenraum aber sei das „Blumenzimmer“ im ersten Stock des Hauptturms gewesen, berichtet ein früherer Lehrer. Dort wurde mit direktem Zugang zum Burggarten in den 1950er Jahren Biologie unterrichtet. Auch das Dach nutzten die Schülerinnen – um Wäsche aufzuhängen und um sich zu sonnen.

Anfangs wohnten mehrere Lehrerinnen mit im Schloss – und kamen nachts kaum zur Ruhe, wenn sie unmittelbar neben einem Schlafsaal mit 30 Mädchen ihr Zimmer hatten. Internatsleiterin Gisela Wolf indes zog 1961 in eine Wohnung im fünften Geschoss mit Blick auf den Burgsee. Neben und über ihr wohnten drei weitere Lehrerfamilien.

Wochentags wurden die Mädchen um sechs Uhr geweckt. Um 7.10 Uhr begann der Unterricht. Psychologie, Kunst, Musik, Gesundheitserziehung und der obligatorische Marxismus-Leninismus waren nur einige der Unterrichtsfächer. Im Keller unter der Schlosskirche konnten die Schülerinnen eine Sportschützenausbildung machen. Im Fach
Pädagogik wurde anfangs Makarenko gelesen, ab 1962 gab Volksbildungsministerin Margot Honecker die Richtung vor. Im Oktober1961 wurde in der Pädagogischen Schule sogar die erste sozialistische Ehe geschlossen. Im Thronsaal gaben sich eine angehende Kindergärtnerin und ein zukünftiger Unterstufenlehrer das Ja-Wort.

Zum Personal gehörten zahlreiche Raumpflegerinnen, die wertvollen Intarsienböden immer wieder auf Hochglanz brachten. Um die Böden zu schonen, durften die Schülerinnen keine Pfennigabsätze tragen. Ein großer Trupp an Heizern mühte sich stets, das Schloss im Winter warm zu bekommen. Ein eigenes Pferdefuhrwerk diente der Ascheabfuhr und sonstigen Transportaufgaben. Die Pförtner achteten darauf, dass kein unerlaubter Herrenbesuch ins Schloss gelangte. Auch Abschiedsküsse vor dem Hauptportal waren untersagt – um kein Aufsehen zu erregen, wie es seitens der Internatsleitung hieß. Einige junge Männer sollen dennoch einen Weg ins Schloss gefunden haben. Einer wusste von einer manchmal unbewachten Tür neben dem Hauptturm. Ein anderer kletterte einen Blitzableiter bis zum vierten Stock hinauf, wo die überraschten Mädchen die Internatsleiterin alarmierten, als er vor ihrem Fenster erschien.

In den 1970er Jahre änderten sich sowohl die Ausbildung der Kindergärtnerinnen als auch die Einstellung der DDR-Oberen zum kulturhistorischen Erbe. 1972 begannen Denkmalschützer, die ersten Prunkräume in der Fest-Etage zu restaurieren und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Schritt für Schritt wurde das Internat verlegt, während der Unterricht weiter im Schloss stattfand. 1982 zog die Pädagogische Schule endgültig in ihr neues Haus im Neubau-Gebiet im Süden Schwerins.

(Quelle: Andreas Frost: „Sammler Forscher Kitakinder – Die Nutzung des Schweriner Schlosses 1913 bis 1990“)