Kommt ein Holz zum Arzt...

  • Sylvia Kuska
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    Dr. Rico Badenschier und Tilo Schöfbeck bei ihrem "Patienten"
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    Diese Bilder sind die Basis für die Altersbestimmung.
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    Die Nächste bitte: Dr. Rico Badenschier und Landesarchäologe Detlef Jantzen betten die Holzprobe auf der Liege.
… sieht es ganz schön alt aus. Wie alt genau? Herr Doktor, können Sie bitte mal schauen?
11.06.2015
Sylvia Kuska

Name? Schweriner Schloss 2014. Geburt? Fragezeichen akzeptiert der Computer nicht. Über Neunhundertirgendwas würde er sich wundern. Deshalb steht jetzt 10. Juni 2015 da. Der Mauspfeil wählt den ganzen Körper aus. Ein Knopf gibt grünes Licht, verbietet leuchtend rot, dichter zu kommen.
Deshalb ist es jetzt eng rings um Andrea Borck. Ärzte. Forscher. Journalisten. Fotografen. Neugier. Andrea Borck lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Mit ein paar Mausklicks bringt die medizinisch-technische Radiologie-Assistentin an ihrem PC den Computertomografen in Stellung.

Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren war es schon einmal so eng in dem kleinen Vorraum. Damals lag ein altes Stück Einbaum aus der Nähe von Pasewalk auf der Liege. Jetzt sind es Eichenbohlen vom alten Burgwall am Schloss. Naja, oder was davon übrig ist: Mehrere Teile, schwarz wie Kohle, fragil wie feuchte Pappe.

Landesarchäologe Detlef Jantzen vermutet, dass sie einst Teil der Außenfassade vom ersten Burgwall waren. Der, so viel wissen die Forscher seit kurzem, stammt aus dem Jahr 942. Jantzen und Bauforscher Tilo Schöfbeck haben eine Theorie: Der erste Wall, ein Konstrukt aus Weichholz und Torf, stürzte vereinfacht gesagt schon nach ein paar Jahren ein. Dabei könnten die Bohlen abgeknickt sein. Doch passen die Fragmente tatsächlich zueinander? Stimmt die Vermutung, dass sie umgebrochen sind? Die Antwort darauf ist ein weiterer Mosaikstein im Geschichtspuzzle der Stadt. Die Forscher hätten das Holz auch zersägen oder Bohrkerne entnehmen können. Sie wollten die Funde aber nicht zerstören. Dafür sind sie ihnen zu wertvoll.

Deshalb sind Detlef Jantzen und Tilo Schöfbeck zu Helios gefahren, in die Neuroradiologie. Zu Chefarzt Dr. Karsten Alfke, Oberarzt Dr. Rico Badenschier und Andrea Borck.

Die Liege hinter der Schutzscheibe fährt einmal vor und zurück durch den Röntgenring. Einen Augenblick später ploppen auf den Rechnern schwarz-weiße Bilder auf. Je nachdem, wie Dokter Badenschier die Maus bewegt, denkt der Kopf an Lachsfilet, eine Landkarte oder ein zerissenes Blatt Papier. Normalerweise sucht der Neuroradiologe in den Bildern nach Gewebeveränderungen seiner Patienten. Jetzt sucht er Jahresringe. „Wir brauchen mindestens 50“, sagt er. Nur so lässt sich das Alter verlässlich bestimmen, weiß er noch von der Einbaumuntersuchung.

Tilo Schöfbeck und Detlef Jantzen betten das nächste Holz auf der Liege. Sie nehmen die rechte Tür. Echte Patienten die linke. Alle kommen wie geplant dran, sagen die Ärzte. Abgerechnet wird die Untersuchung nicht. Sie ist ein Geschenk von Helios an die Archäologie.

Probe vier ist auffällig, der Schatten ganz links nicht zu übersehen. Im Job von Oberarzt Badenschier sind solche Verfärbungen nicht selten ein schlechtes Zeichen. Für Tilo Schöfbeck ist der Fleck eine gute Nachricht. Diagnose: Splintholz. „Damit können wir auf 20 Jahre genau sagen, wie alt das Holz ist.“

Es einmal im Krankenhaus zu durchleuchten reicht dafür aber nicht aus. Tilo Schöfbeck muss sie nun noch mit einem speziellen Computerprogramm behandeln. Dann zum Deutschen Archäologischen Institut nach Berlin schicken. Dort sind unendlich viele Jahresringmuster archiviert. Sortiert nach Regionen von der Eiszeit bis heute. Erst ihr Vergleich macht aus dem Fragezeichen hinter der Geburt eine Jahreszahl. Mit einem Befund wird in wenigen Tagen gerechnet.