Wie ein Vulkan Mecklenburg hungern ließ

Vor 200 Jahren, am 10. und 11. April 1815, brach auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora aus. Einen ersten Hinweis darauf, dass es sich um mehr als ein lokales Ereignis handeln könnte, lieferte der infernalische Lärm, der 2000 Kilometer entfernt zu hören war. Als der Tambora Feuer und Gestein spie, entwickelte er eine Wucht, die der von 170.000 Hiroshima-Bomben entspricht.
11.04.2015
Arne Boecker

Die britische „Benares“ hatte in der Nähe geankert. Mit der Zeitangabe 11. April, 11 Uhr, notierte der Kapitän im Logbuch: „Der Ausbruch schüttelte das Schiff und auch die Häuser an Land durch.“ (…) „Die Asche regnete jetzt förmlich auf uns herab, dies war wahrhaft schrecklich und erschreckend. Mittags verschwand auch das wenige Licht, das im Osten den Horizont aufgehellt hatte, totale Dunkelheit deckte den Tag zu. Das Deck war bald mit Asche bedeckt. Wir setzten achtern und vorn alle Segel, um so gut zu möglich zu verhindern, dass die Asche unter Deck gelangte. Aber sie war so leicht und fein, dass sie in jeden Winkel des Schiffs eindrang.“

Wissenschaftler sind sich einig: Im April 1815 hat sich in Indonesien der schwerste Ausbruch eines Vulkans in den vergangenen 2000 Jahren ereignet. Der Ausbruch des Tambora dürfte mindestens 80.000 Menschen das Leben gekostet haben. Der indonesische Vulkan spuckte derart viel Schwefel, dass sich das Weltklima änderte. Das Jahr 1816, das dem Unglücksjahr folgte, bekam vor allem in Europa und Nordamerika deswegen den Beinamen „Jahr ohne Sommer“. Der Sommer fiel im Schnitt 0,7 Grad kälter aus als der Durchschnitt der Jahre 1810 bis 1819. Es war der kälteste Sommer seit 1750, als man begonnen hatte, systematisch das Wetter aufzuzeichnen.

Der preußische General Carl von Clausewitz reiste in dieser dunklen Zeit durch die Eifel. Er sah „armselige Gestalten, die kaum noch wie Männer aussahen, über Felder ziehen, um unreife oder halb verrottete Kartoffeln aufzuklauben“. Die Not löste Aufstände aus. Im Mai 1816 zogen Hungernde mit Mistgabeln durch Englands Osten und riefen: „Brot oder Blut!“ Der Tambora-Ausbruch löste „die letzte Versorgungskrise aus, die es in der westlichen Welt gab“, meint J. D. Post von der Johns Hopkins University in Baltimore. 

Zwischen dem Tambora auf Sumbawa und Schwerin liegen etwa 12.000 Kilometer. Aber selbst in Mecklenburg hatte der Vulkanausbruch schlimme Folgen. Der Temperatursturz ließ das Korn auf dem Halm erfrieren. Deshalb stieg der Getreidepreis 1816 auf das Dreifache des gewohnten Durchschnitts an, wie J. D. Post errechnete. Weil sich viele Mecklenburger das Brot nicht mehr leisten konnten, hungerten sie, und sie wurden anfällig für tödliche Krankheiten. Typhus, die schlimme Schwester der Armut, tötete zwischen 1816 und 1819 in ganz Europa Millionen Menschen.