Breakdance auf dem Leninplatz

Marienplatz, früher Leninplatz. In den 80ern traten hier mal ein paar junge Breakdancer auf. Nachts. Spontan. Bis die Polizei eingeschritten ist. Eine Erinnerung aus dem Buch „45 Meter über Normalnull“.
12.07.2014
dieschweriner

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Marienplatz 9
49 Meter über Normalnull

Anfang der achtziger Jahre, ich war grade neunzehn geworden, schwappte die Breakdance-Welle über den eisernen Vorhang. Infiziert wurden wir durch Bands wie Grandmaster Flash, Grandmaster Melle Mel und Rock Steady Crew, deren Musik bei uns nach und nach einsickerte, oftmals auf Umwegen – rübergeschmuggelt aus Ungarn und Jugoslawien. Dort war alles ein bisschen lockerer und man bekam die neueste Musik zu kaufen. Alles noch auf Schallplatte damals. Und dann hatte dieser von jenem wieder eine Scheibe besorgt und jemand Drittes das auf Kassette überspielt. Die wurde dann in unsere portablen Kassettenrekorder eingespeist, die es in der DDR in den Achtzigern schon gab und die wir als Rapper dann natürlich als „Soundmachine“ bezeichnet haben.

Die zweite Quelle, die wir hatten, war ein Privatsender aus dem Westen, den wir hier empfangen konnten. Das war Tele 5 und dort waren nachts Videoclips zu sehen. Es war nicht erwünscht, dass Tele 5 geschaut wurde, es war aber auch nicht offiziell verboten. Das Problem war, wir hatten keine Satellitenschüsseln. Also, wie empfängt man Tele 5? Gleiches Prinzip wie bei der Schallplattenbeschaffung: Der kennt wen, der wieder jemanden anderen kennt. Der eine ist Bäcker, der andere KFZ-Monteur und der nächste noch was Drittes. Und dann wurde so lange getauscht, bis irgendeiner einen Antennenfritzen an der Hand hatte. Der ist aufs Dach gestiegen, hat die Antenne optimiert mit abenteuerlichen Sachen wie Quecksilber oder Stanniolpapier. Die Antenne wurde in den Himmel hinein verlängert, noch höher und noch höher. Irgendwo muss der Empfang doch sein! Aber es gab tote Löcher. Und es gab das Tal der Ahnungslosen, da ging es sowieso nicht.

So gab es dann ein paar wenige Glückliche, die Tele 5 zu Hause hatten. Bei denen haben wir uns nachts versammelt, um die Videos zu sehen. Wir schauten uns die Breakdance-Bewegungen ab und haben uns dann zum Üben auf irgendwelchen Hinterhöfen getroffen. Später sind wir damit auch in die Öffentlichkeit gegangen.

Und wir wurden zu einer Attraktion! Es gab vor jeder Diskothek der DDR lange Schlangen. Aber wenn wir kamen mit unseren typischen Breakdance-Outfits, wurden wir sofort reingewunken. Es wurde uns ein roter Teppich ausgerollt. Von der Obrigkeit wurde es geduldet und bei den DJs und den Tanzgaststättenbetreibern waren wir gerne gesehen. Sehr gern auch bei den Mädels.

Eines Nachts sind wir nach einer Jugenddisko auf dem damaligen Leninplatz, heute Marienplatz, aufgetreten. Meine Sugarhill-Crew, das waren: Rollo – unser Bodenakrobat, Hacki – der Robotdancer, Joller – Electric Boogie und ich als Freestyler. Getanzt haben wir in der Nacht genau dort, wo das Denkmal von August Felten jetzt steht. Es war ein sehr prominenter Platz und eine ausreichend große Freifläche, auch wenn damals dort noch die Linden standen. Wir waren zu dritt und haben getanzt und das führte zu einem Massenauflauf. Hundert, zweihundert Leute kamen da. Wir waren so gut drauf, wir haben eine Show nach der anderen abgezogen! Es wurden immer mehr Leute, die haben uns Geld hingeworfen und wir hatten Scheine in den Taschen – Wahnsinn! Das war der totale Hype.

Irgendwer hat dann in der Schloßstraße angerufen, im ehemaligen Polizeirevier, und hat gesagt: „Dort ist eine Zusammenrottung, das könnte gefährlich werden!“ Die kamen sofort und haben alles aufgelöst. Wir wurden mitgenommen für eine Nacht auf die Wache. Aber da haben wir uns einen Spaß draus gemacht. Wir wussten, wir kommen da wieder raus. Die Achtziger waren in der DDR schon etwas lockerer, es wehte ein Wind von Perestroika durch die Luft. Gorbatschow hatte schon gesagt: „Leute, macht euer eigenes Ding!“ Wir brauchten keine Angst mehr haben, dass russische Panzer einrollen, wenn hier mal einer gegen ‘ne rote Fahne pinkelt.

Wenn über die damalige Zeit berichtet wird, wird ja immer versucht, das Politische überall rauszubürsten und rauszupolieren. Irgendwie muss ja alles politisch gewesen sein. War es aber nicht! Bei mir zumindest nicht und bei meinen Kumpeln auch nicht. Breakdance war was Neues, man konnte es wunderbar nach außen zur Schau stellen. Es war exzentrisch, es war unerhört, es war was Ungezogenes. Und natürlich hat uns so was gereizt als Jugendliche. Es reizt jeden Jugendlichen, etwas Unerhörtes zu machen. Es war wie gesagt nicht offiziell verboten, es gab da eine Grauzone. Und diese Grauzone haben wir leidlich ausgenutzt. Ich war auch kein Oppositioneller, ich war einfach ein Jugendlicher, der seine Freiheit haben wollte.

Buchtipp:

45 Meter über Normalnull - Schwerin. Eine erinnerte Stadt. Herausgeber: Kulturfiliale GbR, Kontakt und Bestellung: kulturfiliale@kulturfiliale-hannover.de

Das Projekt:

„Spielstätte Stadt hat sich auf die Fahnen geschrieben, zwei Jahre lang den Alltag, die Geschichten und die Sehnsüchte Schwerins zu erforschen", so Nils Zapfe, neben Frauke Löffel der Initiator des Projekts. Eine erinnerte Stadt, das sind mehr als 40 Geschichten, die gesammelt und aufgeschrieben werden konnten. Drei davon lesen Sie in unserem Magazin.

Teil 1: Am Strand 31

Teil 2: Puschkinstraße 32

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