Die 264-Quadratmeter-Lüge
Das hat sie wirklich nicht verdient, die Kellymarie Sullivan. Tänzerin ist sie am Schweriner Staatstheater und weil MV gut tut, hat man einen Strandkorb in die Fürstenloge gestellt, sie hineingesetzt und fotografiert. So weit, so gut.
Aber jetzt hat man dieses Bild auch noch aufgehängt. 22 Meter breit und 12 Meter hoch, gleich um die Ecke von ihrer Arbeitsstelle. Nun, ja.
Aber dann hat man auch noch in ganz großen Buchstaben über ihren Kopf geschrieben: Kulturlandschaft, Bravourlandschaft. Das bitte jetzt noch einmal langsam und laut lesen: Kulturlandschaft, Bravourlandschaft. Da dachten wir, wir haben das alberne Reimen in der Grundschule hinter uns gelassen und nun das. Mal abgesehen davon, dass sich beim Wort Bravourlandschaft die Buchstaben im Hals festhalten, weil sie partout nicht ausgesprochen werden wollen. Wohin soll das noch führen?
Was kommt als nächstes? Sportland, Mordland? Natur, Bonjour?
Aber jetzt mal Spaß beiseite. Das, was da hängt, das kann man vielleicht in Wiesbaden an eine Fassade kleben und damit die Hessen verarschen. Aber hier, mitten in Schwerin, ist es absolut fehl am Platz.
Laut Pressemitteilung freut sich der Chef der Staatskanzlei, der Staatssekretär Dr. Christian Frenzel, über das neue Plakat: "Unser Land ist eine großartige Kulturlandschaft. Moderne Bühnen, spannende Museen und Festivals von Weltrang stehen für Kreativität und damit für die Anziehungskraft unseres Landes.”
Wie bitte? Großartige Kulturlandschaft? Meint er die Kulturlandschaft, die die Menschen hier verzweifelt zu retten versuchen, indem sie protestieren. Indem sie sich Schilder basteln und Aufkleber ans Auto pappen mit der Botschaft “Kulturschutz”, diesem roten Kreuz in den eckigen Klammern, das hier an jeder Ecke zu sehen ist?
Moderne Bühnen? Meint er das Landestheater in Parchim, dass gerade geschlossen wurde, weil das Haus drohte, über den Köpfen einzustürzen?
Spannende Museen? Meint er das Freilichtmuseum in Mueß, dass laut Vorschlag aus dem Innenministerium geschlossen werden soll?
Festivals von Weltrang? Ich grübele schon eine Weile, aber ein Festival von Weltrang will mir gerade nicht einfallen.
Natürlich ist es schwierig, wenn nicht gar unlösbar, große Kultur zu bieten, in diesem Land mit so wenig Einwohnern auf so viel Fläche, in einem Land mit so wenig Industrie und so viel Armut. Kultur muss man sich auch leisten können. Und im Moment ist es halt ziemlich schwierig.
Gerade mal gut zweihundert Meter entfernt vom teuren Riesenplakat stehen Schauspieler auf der Bühne, die alle ein bisschen sehr viel weniger verdienen als George Clooney.
Kreativität? Ja, die hat das Land. Die braucht es hier auch, schlicht um überhaupt mit und in der Kultur überleben zu können.
Eine Kulturlandschaft? Ja, die gibt es auch.
Die Bravourlandschaft aber ist ein schlimmes Wort und eine glatte Lüge.