Kaffee, Kuchen, KZ: Treffen für 100 Euro
Dienstagnacht läuft die Online-Aktion für das Festival „Verfemte Musik“ aus. 16.000 Euro sollen auf Startnext gesammelt werden. 1680 Euro sind es bislang geworden. Das Crowdfunding-Projekt ist aller Voraussicht nach gescheitert – auch, weil sich nur 2 Spender für ein persönliches Zeitzeugengespräch beworben haben. Und nicht 50, wie erhofft.
50 Treffen sind im Angebot. Jeweils 30 Minuten. Im Café oder im Büro. Das Ziel hieß ursprünglich 5.000 Euro, die dazu beitragen sollten, das Festival vom 15. September bis 5. Oktober in Schwerin zu finanzieren.
Bedenken? Keine. 100 Euro kosten Fragen an Anita Lasker-Wallfisch (89), eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz. An Esther Bauer (90), die dem Tod in Theresienstadt und Auschwitz entkam. Oder an Zvi Cohen (83), der als Junge mit seiner Familie nach Theresienstadt deportiert worden war, sich im Ghetto an einer Kinderoper beteiligte – und der heute sagt: „Die Mundharmonika hat mir das Leben gerettet.“
100 Euro für ein persönliches Zeitzeugengespräch. „Voraussichtliche Lieferung: September / Oktober 2014“, lautet die Formulierung bei Startnext. Lasker-Wallfisch, Bauer und Cohen haben schon oft über ihr Leben gesprochen. Vor Schulklassen, Studenten, vor jungen Musikern wie hier in Schwerin. Aber einzeln gegen eine Spende? Mit dem, der sich das leisten kann? „Wir wussten, dass es ein Wagnis ist“, hatte Andreas Damken, der Geschäftsführer des Festivals, nach dem Start der Aktion gesagt. Riskieren wollte man es trotzdem. Die drei hätten Ihr Einverständnis erklärt. Sie sollten aber nicht allein zu den Gesprächen gehen, sondern immer mit einer Vertrauensperson. Wegen ihres Alters. Wegen der vielen geplanten Termine.
Und falls ihnen mal der Falsche gegenüber sitzt? Von der NPD zum Beispiel? Auch deshalb, so Damken.
Die Spenden sollten für die Preisgelder des Wettbewerbs und die Aufwandsentschädigung der internationalen Jury aufgewendet werden, hatte Organisator Volker Ahmels angekündigt. 16.000 Euro würden fehlen, weil Stiftungen wegen der niedrigen Zinsen weniger beisteuern könnten, hieß die Begründung. 40 Tage lang konnte man spenden. Einfach so. Oder 25 Euro geben für die signierte Kopie eines Films über Esther Bauer, oder 50 Euro für eine Karte zur Eröffnung des Festivals - oder eben 100 Euro für ein Zeitzeugengespräch bei Kaffee und Kuchen.
„Derartige Initiativen von Überlebenden wollen wir nicht kommentieren“, heißt es von der Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald. Auch andere Organisationen und Institutionen halten sich mit Kritik zurück, zumindest öffentlich. In der Politik sind die Reaktionen gespalten. „Den ,Verkauf' von Zeitzeugengesprächen halte ich für ein völlig untaugliches Instrument“, sagt der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Jürgen Suhr. „Die Berichte von Zeitzeugen sollten allen Interessierten zugänglich sein." Zustimmung wiederum kommt von der CDU. „Ich finde es sehr gut, dass auch in Schwerin neue Wege zur Förderung von kulturellen Veranstaltungen eingeschlagen werden“, meint Sebastian Ehlers, der Vorsitzende der Stadtfraktion. Die Linken sehen die Aktion pragmatisch. „Damit das Festival überhaupt stattfinden kann, ist es leider so, dass die Veranstalter zu diesen außergewöhnlichen Mitteln greifen müssen“, so Helmut Holter.
„Persönliche Gespräche mit Zeitzeugen in einem kleinen Rahmen als Dankeschön für eine Spende anzubieten, ist legitim, insofern es mit den Zeitzeugen abgesprochen ist. Dies scheint jedoch der Fall zu sein“, teilt die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit.
Die außergewöhnlichen Mittel heißen Kaffee, Kuchen und KZ. Den kleinen Rahmen kann man noch 48-mal buchen.