Unser Lesetipp zum Welttag des Buches
Willemsen, der im Wesentlichen aus Intellekt, Wahrnehmungsreichtum und Formulierungskunst zu bestehen scheint, ist jemand, der die deutsche Sprache meisterhaft, treffsicher und elegant wie ein Florett zu führen weiß. Unsere Abgeordneten in Berlin hingegen oszillieren zwischen Gemeinplätzen, Kraftmeierei, Beleidigungen, Lobbygeplapper, bürokratischen Wortungetümen, sprachlichem Unsinn und gelegentlichen Lichtblicken. Diese Reden müssen für Willemsen eine enorme Herausforderung gewesen sein. Wer auch nur einmal eine Live-Übertragung einer Parlamentsdebatte auf „Phoenix“ angeschaut hat, weiß, von welcher Tortur hier die Rede ist.
Für Roger Willemsen wäre es nun ein Leichtes gewesen, dem grassierenden Politikerbashing einen weiteren spöttischen Bericht über eine mit sich selbst beschäftigte Kaste hinzuzufügen, die nicht in der Lage zu sein scheint, die drängenden Probleme unserer Zeit mit gesundem Menschenverstand zu diskutieren, geschweige denn zu lösen. Willemsen hätte sich mit Seufzen und Kopfschütteln abwenden können – wie so viele und wie so oft aus guten Gründen.
Doch dafür ist ihm, dem Weltreisenden, den es in den vergangenen Jahren unter anderem auch nach Afghanistan und Timbuktu verschlug, die Demokratie – in welcher Gestalt auch immer – zu wichtig. Statt zu resignieren, hat Roger Willemsen aus dem Wortsteinbruch der Parlamentsreden ein lesenswertes und differenziertes Buch gemacht.
Vom hohen Ton, der in diesem Hohen Haus oft bemüht wird, ist beim Autor kaum etwas zu spüren. Vielmehr kommen seine Reflexionen überraschend bescheiden, ausgewogen und nachdenklich daher. Gekonnt widersteht Willemsen auch der Versuchung, zu dem ihn die Architektur des Plenarsaals geradezu einlädt: vom Zuschauerrang auf die Staatsschauspieler unten im Parkett herabzublicken.
Vielmehr betrachtet er angenehm nüchtern und unbestechlich das Treiben der Menschen, denen wir die Entscheidungen über Gegenwart und Zukunft unseres Landes per Stimmzettel anvertraut haben. Stilistisch und moralisch bewegt sich Willemsen auf gewohnt hohem Niveau, die Pointen sitzen, sein Interesse ist aufrichtig und menschenfreundlich, sein Humor ebenso erfrischend wie maliziös.
Und auch wenn einem das Lachen gelegentlich im Halse stecken bleibt und einem angesichts des politischen Personals himmelangst werden kann, so ist die Lektüre dieses Buches doch in erster Linie ein Vergnügen.
Deshalb zum Schluss an dieser Stelle noch drei Kostproben verunglückter Kommunikation:
Jetzt spricht Steinbrück den Finanzminister an, seinen Nachfolger: „Verehrter Herr Schäuble (…) beenden Sie bitte Ihren Schleiertanz mit Blick auf die Fragestellung, wie eine Bankenunion in Europa aussehen soll.“ Schleiertanz. Es ist nicht die stilvollste Metapher, mit der man einem Mann im Rollstuhl begegnen kann.
In der Folge löst sich das Thema in Terminologie auf. Der ganze Himmel ist überstrahlt von Leuchtraketen wie „Erwerbsbiografien“, „Rentenüberleitungsgesetz“, „Vorwegabzug der demografiefesten Reserve“, „Versorgungssystemen“ aus „Zuschussrente“, „Lebensleistungsrente“, „Solidarrente“ und „Erwerbsminderungsrente“, „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ in unserem „Solidarsystem“, seiner intendierten „Generationengerechtigkeit“, die auch eine Folge des „Äquivalenzprinzips“ im „Rentendialog“ an der „unteren Auffanglinie“ „unseres Alterssicherungssystems“ ist. Zum Trost sei gesagt: Es ist wohl wahrscheinlicher, dass jemand Rente bekommt, als dass er versteht, warum.
„Wenn wir in diesem Geist an die Sache herangehen, mit einer frohgemuten Zuversicht, mit dem Unternehmergeist, der dem ganzen Deutschen Bundestag zu eigen ist, mit der fröhlichen Gestaltungskraft, die auf die Zukunft vertraut, in einem Geist , der die Probleme nicht problematisiert, sondern sich für Lösungen begeistert (…) dann, Freunde, werden wir Deutschland in eine Zukunft führen, an der alle Freude haben werden, auch die Menschen, die gestalten.“ Das ist lustig, und so breitet sich über uns ungestalteten, gestaltungsfernen Menschen auf der Tribüne das selbstmitleidige Lächeln von Menschen aus, die offenbar von der Wirkung psychoaktiver Substanzen ausgeschlossen wurden.