Vom Elitesoldaten zum Opernsänger
„Chi mi toglie il regio scettro? Qual m'incalza orrendo spettro!“ Wenn Bastiaan Everink als Nabucco schwer gezeichnet und voller Angst kurz vor der Pause dem Wahnsinn nahe um Mitleid bittet, fällt es schwer zu glauben, dass er an der Musikhochschule einer der schlechtesten Schüler gewesen sein soll. „Doch, doch, das war ich!“ Singen konnte er schon damals. Aber Noten lesen? Harmonielehre?
Der Niederländer beißt sich durch. Kämpft sich Schritt für Schritt nach vorn. Der Drill aus alten Zeiten hilft. Die meisten derer, die ihn für einen hoffnungslosen Fall hielten, an der Hochschule mitleidig über ihn lächelten, seien dagegen heute kaum noch im Geschäft, sagt er selbstbewusst.
Bastiaan Everinks musikalischer Werdegang liest sich so: 30 verschiedene Hauptrollen in zwölf Jahren. Engagements unter anderem an der Deutschen Oper in Berlin, der Oper Frankfurt, am Tiroler Landestheater Innsbruck, am Staatstheater in Wiesbaden und Nürnberg. Jetzt Schwerin. Danach, im Herbst, Amsterdam. Als Opernkünstler nahezu lückenlos beschäftigt zu sein - (s)ein Glücksfall.
Dabei war der 44-Jährige musikalisch gesehen eher ein Spätzünder. Er machte mit beim Schultheater, sang im Chor. Aber deswegen gleich Musiker werden? Das kam ihm nicht in den Sinn. Ritter! Das wäre in seinen Kinderaugen was gewesen! „Um Leuten in Not zu helfen.“ Später wurde er Elitesoldat. Darauf wird er immer angesprochen. Dabei würde der Bariton lieber viel mehr über Musik reden. Doch ohne den Umweg zum Militär wäre er vielleicht nie zur Opernmusik gekommen. Also erzählt Bastiaan Everink doch darüber. Ein bisschen zumindest.
Er hat im Golfkrieg humanitäre Hilfe geleistet. Auch an vorderster Front gekämpft. Das war 1991. Das Erlebte muss verarbeitet werden. Bastiaan Everink trifft eine Entscheidung, möchte die eigene Moral nicht mehr in die Hände anderer legen. Und da war ja noch die Leidenschaft für Musik. „Wenn frei war, habe ich eigentlich immer gesungen.“ In den Bergen, in der Wüste, am Polarkreis. Klassik. Freddy Mercury. Tom Jones. Sehr zur Freude der anderen in der Einheit.
Bastiaan Everink sieht in der Musik seine Zukunft, nimmt sich einen Gesangslehrer. Dieser ermutigt ihn nach kurzer Zeit, sich an einer Musikhochschule zu bewerben.
Und was ist der schwierigere Job: Elitesoldat oder Opernsänger? „Opernsänger! Zu werden und zu bleiben!“ In der Kompanie gebe es an einem schlechten Tag immer jemanden, der hilft, den Rucksack über den Berg zu tragen. „Auf der Bühne musst du allein deine Grenzen überschreiten.“
Als Bastiaan Everink das Angebot bekommt, bei den Schlossfestspielen eine der drei Nabuccobesetzungen zu sein, muss er nicht lange überlegen. Weil er die Rolle schon mehrmals gespielt hat. Und obwohl er sie schon mehrmals gespielt hat. Es sind Nabuccos Facetten, die ihn immer wieder an der Figur reizen. Das sei wie beim Sex. „Da hören Sie nach dem zwölften Mal doch auch nicht damit auf, oder?“
Schwerin ist für den singenden Holländer nur ein Open-Air-Gastspiel. An der Inszenierung hier schätzt er vor allem die enge Verbindung, das Zusammenspiel zwischen Darstellern und Regisseur. „Daran reife ich als Sänger.“ An Schwerin mag er das Wasser, die Natur. Sein Lieblingsplatz: Adebors Näs.
Die kommende Spielzeit führt Bastiaan Everink weiter auf die Bühnen der Welt. Im Herbst geht es nach Amsterdam, in seine Heimat. Zum ersten Engagement ganz in der Nähe seiner Familie.