Was macht Joachim Kümmritz an seinem 65. Geburtstag?
Der Text heißt „Am Strand 31“ und stammt aus dem Buch „45 Meter über Normalnull“, dem Ergebnis einer Sammlung von Geschichten von Schweriner Bürgern aus dem zweijährigen Projekt „Spielstätte Stadt“. Persönliche Geschichten, wie jene des Theaterintendanten:
In Zippendorf, am hinteren Ende des Strandes liegt „Gundels Garten“. Dort führt ein kleiner Steg ins Wasser und draußen stehen Biertische. Wenn es regnet, haben im Lokal selbst bloß etwa zwölf, fünfzehn Leute Platz. Früher war es wahnsinnig voll da – wir hatten ja Zeiten, als es noch Industrie gab vor Schwerin. Mit irgend so einem Beschluss, wie es damals in der DDR üblich war, wurde das hier einfach hingesetzt: In allen Bezirksstädten der DDR muss Industrie gebaut werden! Daraufhin sind dann viele aus dem Süden hierhergezogen, aus Halle zum Beispiel und aus anderen Industriegebieten. Wir waren ja mal knapp um die 135.000 Einwohner, jetzt sind wir noch 95.000. Da waren auch jede Menge Afrikaner hier, ich weiß nicht, Mosambikaner und so. Die arbeiteten in den VEB-Werken, bei der Hydraulik und im Plastmaschinenwerk. Ich glaube, die meisten haben im Plastmaschinenwerk gearbeitet. Da bist du manchmal in den Biergarten gekommen, und auf einmal saßen da nur Schwarze!
Ich wohnte damals auf dem Dreesch oberhalb von Zippendorf. Am Ortseingang von Zippendorf war zu DDR-Zeiten eine Kindertagesstätte. Dort hab ich unser Kind morgens abgegeben und fuhr dann weiter in die Stadt. Meine erste Frau – wir sind geschieden, wie das überall auf der Welt vorkommt –, die war Tänzerin. Und wenn sie nachmittags mit dem Training fertig war, holte sie den Kleinen ab und ging nach oben auf den Dreesch. Weil sie abends wieder am Theater sein musste, trafen wir uns, wenn ich gegen 17 Uhr nach Hause kam, auf halber Strecke in Gundels Biergarten, und ich übernahm den Kleinen für die nächsten Stunden. Wir haben dort unseren Kaffee getrunken, mal ein Bier oder auch zwei – ich glaube, fast jeden Tag. So wurde dieser Ort fester Bestandteil unseres Lebens.
Einmal an einem Sonntagvormittag, als meine Frau zu Hause Essen kochte, hab ich das Kind genommen und bin mit dem Fahrrad rausgefahren. Er saß vorne in einem dieser Strohkörbe drin, die waren damals noch zulässig. Auf dem Rückweg über Mueß kam ich auch an jenem Biergarten vorbei, wollte nun aber nach Hause zum Essen. Ich sagte zu meinem Sohn: „Wir müssen nach Hause!“ Und daraufhin sagte er, vielleicht mit drei Jahren: „Aber wir wohnen doch hier!“ Das werde ich nie vergessen.
Von Gundels Garten gibt es einen wunderschönen Blick. Wenn man am 21. Juni von dort Richtung Stadt blickt, dann geht die Sonne genau zwischen Dom und Paulskirche unter. Eine Sonne fällt zwischen zwei Kirchtürme! Zur Mittsommernacht! Ich hab so lange gemeckert, bis die Wirtin das endlich fotografiert hat. Das Bild hängt jetzt in dieser Kneipe.
Alles Gute zum Geburtstag, Joachim Kümmritz!
Buchtipp:
45 Meter über Normalnull - Schwerin. Eine erinnerte Stadt. Herausgeber: Kulturfiliale GbR, Kontakt und Bestellung: kulturfiliale@kulturfiliale-hannover.de
Das Projekt:
„Spielstätte Stadt hat sich auf die Fahnen geschrieben, zwei Jahre lang den Alltag, die Geschichten und die Sehnsüchte Schwerins zu erforschen", so Nils Zapfe, neben Frauke Löffel der Initiator des Projekts. Eine erinnerte Stadt, das sind mehr als 40 Geschichten, die gesammelt und aufgeschrieben werden konnten. Einige davon sind am Montag am Pfaffenteich zu hören, drei davon lesen Sie in den kommenden Tagen in unserem Magazin. Zum Auftakt über Gundels Garten. Und Joachim Kümmritz.