Die „Sonnenallee“ als Musical: Yeah, Yeah, Yeah!

  • Hans-Dieter Hentschel
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Als im Jahr 1999 der Film „Sonnenallee“ in die Kinos kam, wirkte er für mich wie eine kleine Befreiung. Ich studierte damals als „Ossi“ in Hamburg, hatte dort gute Freunde gefunden, mit denen über Gott und die Welt zu sprechen war. Nur, wenn die Rede auf das untergegangene Land meiner Kindheit kam, fühlte ich mich sprachlos und seltsam unverstanden. Die wehleidige Ostalgie vieler Neubundesbürger war mir peinlich, aber auch der westdeutsche Blick kam mir einseitig vor: Natürlich war die DDR ein totalitärer Staat, dem die Freiheit und das Glück seiner Bürger nicht viel Wert waren. Aber über meinen gelebten Alltag sagte diese politische Einsicht eher wenig aus. Dann kam „Sonnenallee“ und ich schleppte nacheinander meine westdeutschen Freunde ins Kino. Endlich gab es eine lässige und selbstbewusste Art über die DDR zu sprechen, ohne die hässlichen Seiten dieses Landes zu verharmlosen. Das war damals neu und provozierend - für Ost und für West.
21.02.2014
Stephan Bliemel (www.stephan-bliemel.de)

Heute – 24 Jahre nach dem Mauerfall und 14 Jahre nach „Sonnenallee“ – ist der Drops gelutscht. Der Film ist Kult, also tut er auch keinem mehr weh. Dennoch – oder gerade deshalb? – feierte die „Sonnenallee“ vor ein paar Tagen auf der Bühne des Schweriner Staatstheaters ihre Rückkehr. Wer sich jetzt die große Sinnfrage stellt, sollte lieber zu Hause bleiben. Wem aber der Sinn nach drei Stunden richtig guter Unterhaltung steht, der sollte sich beeilen, denn die Schweriner sind schon jetzt begeistert – die kommenden Vorstellungen sind nahezu ausverkauft.

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Zu Recht! Denn Regisseur Ralph Reichel ist klug genug, um zu wissen, dass der eigentliche Filmstoff keine großen Konflikte mehr birgt - als ein Schauspiel in fünf Akten wäre er schwer zu inszenieren gewesen. Aber als Rock-Musical kann die „Sonnenallee“ allemal wieder auferstehen. Und das ohne Krampf: Schon im Film spielt die Musik eine handlungstragende Rolle, denn sie war für die Jugend in der DDR vielleicht die wichtigste Ausdrucksform ihres Lebensgefühles. Legendär ist Walter Ulbrichts Diktum von 1965: „Ich denke, Genossen, mit der Monotonie, des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen!“

Dass der Beat der Sechziger und der Rock der Siebziger alles andere als monoton waren, das bringt das Schweriner Ensemble wunderbar wild, bunt und fröhlich auf die Bühne. Eine ganze Reihe von neu ausgewählten Songs werden sinnfällig in die Handlung eingebettet: (z.B. „School is out“, „In the army now“), immer wieder kontrastiert durch bekannte Pionierlieder („Soldaten sind vorbeimarschiert“, „Unsere Heimat“) oder deutsche Schlager. Musiker John R. Carlson (was ist dieser Mann nur für ein Geschenk für die Stadt!) an der Spitze der Band rockt das Große Haus, die Schauspieler singen auf hohem Niveau und die Choreografie (Rüdiger Daas) reißt von den Sitzen.

Überhaupt: Stark ist die Inszenierung immer dort, wo sie über den Film hinausgeht: Besonders augenfällig wird dies in der Figur des ABV Horkefeld, dem Thorsten Merten eine ganz neue Dimension verleiht, indem er die Skrupel und Zweifel eines Mitläufers sichtbar macht. Plump hingegen wirken einzig die Couch- und MuFuTi-Szenen im Kreis der Familie Ehrenreich – vielleicht auch deshalb, weil das kongeniale Film-Pärchen Thalbach/Hübchen noch in so lebendiger Erinnerung ist. Hier wäre wohl nach den lauten, bunten und wilden Songs etwas subtilere Schauspielkunst wirksamer gewesen.

Aber dies ist nur ein kleiner Wermutstropfen: Die drei Stunden vergehen wie im Flug und öffnen das Herz. Den Bedenkenträgern sei gesagt: Dies ist keine Ostalgie, sondern höchstens Nostalgie im besten Sinne. Hier wird nicht die peinliche Verklemmtheit eines Oktoberclubs gefeiert, sondern der Freiheitsruf des Rock’n’Roll. Und die Erinnerung an die eigene Kindheit und Jugend: „Es war einmal ein Land und ich habe dort gelebt. Wenn man mich fragt, wie es war: Es war die schönste Zeit meines Lebens, denn ich war jung und verliebt!“

Sonnenallee - Das Musical; nach dem Film von Thomas Brussig, Detlev Buck und Leander Haußmann; Inszenierung: Ralph Reichel, Musikalische Leitung: John R. Carlson, Bühne und Kostüme: Claudia Charlotte Burchard, Choreographie: Rüdiger Daas, Dramaturgie: Franziska Oehme.

Weitere Vorstellungen vom 21.2. bis 23.2. und vom 27.2. bis 2.3. im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin.

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