Ein Stolperstein in der Schmiedestraße 18

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    Das Grab
Am 8. März wird Gunther Demnig neun weitere Stolpersteine in Schwerin verlegen. Einer davon trägt den Namen von Fritz Löwenthal.
05.03.2014
Ein Gastbeitrag von Bernd Kasten

1891 geboren, wurde dieser 1913 Soldat und kämpfte den ganzen 1. Weltkrieg an der Westfront in Flandern und Nordfrankreich für sein Vaterland, wurde zweimal verwundet, mit mehreren Orden ausgezeichnet. Als er aus dem Krieg  heimkehrte, baute er das väterliche Geschäft in der Schmiedestraße 18 energisch aus. Das „Haus der Geschenke“ (Werbespruch: „Die Zeit der Nacht ist uns egal, uns weckt ein Wecker von Löwenthal“) war in Schwerin bekannt und angesehen. 1933 arbeiteten hier immerhin 16 Angestellte. Auch in der jüdischen Gemeinde nahm Löwenthal eine geachtete Stellung ein, wurde 1933 zum Schriftführer gewählt. Trotz ständiger Boykottaufrufe der NSDAP und diverser Schikanen der Stadtverwaltung konnte sich das Unternehmen behaupten. Die meisten Kunden hielten ihm die Treue. 

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Die Nationalsozialisten griffen daher zu härteren Maßnahmen. Während des Novemberpogroms am 10. November 1938 wurde das Geschäft völlig verwüstet. Löwenthal berichtete: „wurde systematisch alles Glas, was sich in den Schränken bzw. Ladentischen befand, total zerschlagen. … Als ich … aus dem Polizeigewahrsam in mein Lokal geführt wurde, um die Bücher der jüdischen Gemeinde herauszugeben, war es schwer, bis zu meinem Kontor zu gelangen, da die Trümmer fast einen ½ m hoch im Laden lagen.“

„...das Grölen und Johlen der Gasse"

Wie reagierte nun die Bevölkerung in Schwerin auf das Pogrom? Der nebenan wohnende Pastor Karl Kleinschmidt schrieb: „das Grölen und Johlen der Gasse … machte dem Domprediger seine Pfarrstube zur Kloake, in welcher er fast erstickte in Ekel, Schande, Scham und Ohnmacht“. Er versuchte später Löwenthal gegenüber seine Anteilnahme auszudrücken, worauf dieser entgegnete „Das sagen Sie mir. Und was sagen sie ihrer Gemeinde? … denn die das hier angerichtet haben, die gehören zu ihrer Gemeinde“. Kleinschmidt verbat sich diese unerbetene Einmischung in die inneren Angelegenheiten der evangelischen Kirche: „Sie sind zwar mein Nachbar, Herr Löwenthal, gehören aber nicht zu meiner Gemeinde“. Juden gehörten nicht dazu, standen außerhalb der christlichen Gemeinschaft, selbst Kleinschmidt, der zur Bekennende Kirche gehörte, sah sie nicht als Nächste, sondern als Fremde an.

Den Schlägern folgte die Polizei, Löwenthal wurde verhaftet und mit 18 anderen Juden aus Schwerin mit dem Bus in das Gefängnis von Alt-Strelitz gebracht. Die Gefangenen wurden wie Sträflinge behandelt. Bei ihrer Ankunft wurden ihnen Uhren und Bargeld abgenommen, sie erhielten Anstaltskleidung und wurden zur Zwangsarbeit eingesetzt. Wer die Zuchthausmauern hinter sich lassen wollte, musste sich regelrecht freikaufen. Der „Niederdeutsche Beobachter“ berichtete am 17.11.1938: „Für das Geschäft Löwenthal haben sich bereits Liebhaber gefunden, die Verhandlungen sind allerdings noch nicht zu Ende. Wir möchten allerdings nicht annehmen, daß der Jude da noch Schwierigkeiten macht …“. 

Löwenthal hielt nichts mehr in Schwerin

Tatsächlich hatte der Fritz Löwenthal kaum eine andere Wahl als den im Gefängnis von Alt-Strelitz vorgelegten Kaufvertrag zu unterschreiben. Der Kaufpreis entsprach in keiner Weise dem Wert des Grundstücks. Darüber hinaus wurde der Juwelier verpflichtet, auf eigene Kosten die „zertrümmerten Fensterscheiben des Hauses und alle sonstigen Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November am Grundstück entstanden sind ... sofort zu beseitigen“.

Fritz Löwenthal wurde am 2. Dezember 1938 entlassen. Nach diesen Ereignissen hielt ihn nichts mehr in Schwerin. Da er für die USA kein Visum bekam, entschloss er sich zur Emigration nach Chile, obwohl er dort „keine Stellung, keinerlei Arbeit und keine Wohnung in Aussicht“ hatte.  Mitnehmen konnte er fast nichts. Sein Vermögen einschließlich der Erlöse aus dem Verkauf seiner Häuser war de facto beschlagnahmt, da er über das Sperrkonto, auf dem es sich befand, nicht verfügen konnte. Sein persönlicher Besitz mit den Juwelen seiner Frau im Wert von 10 000 RM wurde für 650 RM verkauft.  Selbst der Antrag, seinen Kühlschrank mit in das heiße Klima von Chile zu nehmen, wurde von der Devisenstelle abgelehnt, und schließlich nur nach wiederholter Bittstellung gegen Zahlung von 440 RM genehmigt. Am 23. Juni 1939 verließ Fritz Löwenthal, der einmal ein wohlhabender Mann gewesen war, Deutschland mit ein paar Koffern, seinem Ehering und 10 Reichsmark. 

Der gelernte Uhrmacher eröffnet in Santiago de Chile einen kleinen Laden und hielt sich hier recht und schlecht mit der Reparatur von Haushaltsgeräten über Wasser. Nach 1945 versuchte er vergeblich eine Entschädigung zu erhalten. Der Gedanke, den im kapitalistischen Ausland lebenden Juden, die mit dem Leben davon gekommen waren, ihren geraubten Besitz zurück zu geben, lag der SED völlig fern. Löwenthal bekam weder eines seiner drei Häuser zurück noch irgendeine Entschädigung. Die Enttäuschung darüber und das Heimweh zermürbte seine angeschlagene Gesundheit. 1951 starb er im Alter von nur 60 Jahren in Chile.

„Alle haben sie mitgemacht"

Löwenthals Urteil über seine ehemaligen Mitbürger fiel 1947 verheerend aus: „Alle haben sie mitgemacht, alle haben mitgemordet, mit Brand gestiftet, mit geraubt und heut will keiner es gewesen sein“. Tatsächlich hatten erschreckend viele einfache unbescholtene Bürger auch in Schwerin die Gunst der Stunde genutzt, sich skrupellos zu bereichern. Die Wäschereibesitzerin, die Fritz Löwenthal mit ihrem Notar im Zuchthaus Neustrelitz aufsuchte und ihn dort erpresste, sein Haus für einen Bruchteil des Wertes an sie zu verkaufen,  war nur ein besonders extremer Fall. Aber auch in kleinerem Maßstab gelang es vielen nicht, ihrer Habgier Herr zu werden. Löwenthal zählt fast ein Dutzend Juweliere und Kaufleute auf, die ihm nur ein Bruchteil des Wertes boten, als er vor seiner Ausreise seinen ganzen Besitz verkaufen musste.

Vielleicht ist es nun nach dem ganzen Leid und dem Unrecht, das Löwenthal hier in seiner Heimatstadt erfahren musste, Zeit mit diesem kleinen Stein zumindest ein kleines Zeichen der Erinnerung zu setzen.

Bernd Kasten leitet das Stadtarchiv in Schwerin.