Gramkow und die besorgten Fremdenfeinde

  • dieschweriner
Freitag, 20 Uhr. Sie ist tatsächlich da. Es gibt Applaus, Pfiffe, viele erstaunte Gesichter. Die 70 Demonstranten haben es geschafft, dass die Oberbürgermeisterin zur geplanten Notunterkunft für Flüchtlinge kommt. Unter den 70 Demonstranten sind vor allem Fremdenfeinde. Sie werden glauben, sie hätten Gramkow nach Lankow zitiert.
12.09.2015
Matthias Hufmann

„Erst einmal: Guten Abend“, sagt die Oberbürgermeisterin, als sie das Megafon erhalten hat. Sie steht auf der Wiese vor der ehemaligen Comeniusschule. 150 Plätze für Flüchtlinge werden dort gerade hergerichtet. Das DRK ist noch im Gebäude, davor wachen 30, 40 Polizisten. Ein Dutzend Gegendemonstranten sind da, am Rande ein paar Neugierige.

Gramkow spricht in ein Megafon, aus dem eine Viertelstunde zuvor noch die „Wir wollen keine Asylantenheime“ -Rufe verstärkt worden sind. Neben ihr Sozialdezernent Andreas Ruhl, der ein Gesicht zieht, als wäre er am liebsten weit, weit weg.

Die Anwohner rund um die Edgar-Bennert-Straße würden jeden Tag um 19 Uhr gegen die Notunterkunft protestieren, „bis Lankow seine Fragen beantwortet bekommt.“ Diese Botschaft dürfte Gramkow am Abend erreicht haben. Sie wollte nicht kneifen, verließ eigens eine Feier von Stadtvertretern mit Ehrenamtlern. Vermutlich dachte sie bis zu ihrer Ankunft, dass sie mit „besorgten Bürgern“ reden kann. Deshalb ist sie hier.

Sie spricht aber mit Fremdenfeinden. Nach fünf Minuten wäre jedes Bullshitbingo gewonnen. „Das Boot ist voll.“ „Die bringen Krankheiten mit.“ „Asylschmarotzer.“ Die würden doch zu Fuß in die Stadt gehen und mit dem Fahrrad zurückkehren. Hätte man doch schon öfter gehört. Und überhaupt: Die Sicherheit. Die Kinder. Die Frauen. „Vergewaltigung, Alter“, sagt einer.

Gramkow bleibt ruhig, ihre Stimme überschlägt sich nur ein-, zweimal. „Zurzeit leben 173 Flüchtlinge in Schwerin.“ „Wir haben kurzfristig erfahren, dass wir weitere Plätze zur Verfügung stellen sollen.“ Aber auch: „Es ist eine Frage der Menschlichkeit, dass wir helfen.“ Sie wird verhöhnt, persönlich angegangen. Die Stimmung ist aufgeheizt. „Schämen Sie sich“, sagt Torsten S., der für nächste Woche die rechte Demo „Schwerin wehrt sich“ angemeldet hat. So wie im Winter und Frühjahr die Mvgida-Aufmärsche. Gramkow hat ihm ihre Büronummer gegeben, damit sie weiter diskutieren können. Über Unterkünfte zum Beispiel. Torsten S. sagt, sie hätten gerade kontrolliert, wo in Lankow überall Wohnungen für Flüchtlinge angemietet werden.

Gramkow kramt einen Zettel vor, notiert Namen, Adressen, Stichwörter. Jeder kann mich erreichen, soll das heißen. Nach 45 Minuten am Megafon folgen Einzelgespräche, eine Art Open-Air-Sprechstunde am Abend. Sie verlässt als eine der letzten das Feld vor der Schule.

Seien sie doch froh, „dass Sie es geschafft haben, dass Frau Gramkow hierher kommt“, hatte die Polizei dem Anmelder mitgeteilt, als dieser sich um kurz vor 8 Uhr über die Auflagen für die Spontandemo beschweren wollte.

Zehn Minuten später schnappte sich die Oberbürgermeisterin das Megafon, um Fragen zu beantworten. Das hätte man sich so gewünscht, sagt Gramkow.

Der Anmelder ist David B., Pegida-Umfeld, Mitorganisator von „Wismar wehrt sich gegen Asylmissbrauch“. Er will am Samstag weiter machen.

 

Weitere Artikel