
Herr Müller hat die Wahl (Teil 5)

Extra herausgeputzt hatte sich Herr Müller. Sein bestes Sakko hatte er angezogen und sogar eine Krawatte umgebunden. Der Fotograf hatte zum Shooting gebeten. Es sollte ein gutes Foto werden, kein Schnappschuss fürs Familienalbum, sondern ein nettes Portrait, das auf Plakate gedruckt, den Wählern zeigen soll: Guckt mal, so nett sieht der Herr Müller aus. So einem kann man doch vertrauen.
Es war Wahlkampf und im Wahlkampf dürfen die Pfähle und Laternen in der Stadt mit Wahlplakaten vollgehängt werden. Und so war die Stadt voll mit Gesichtern, mit Frauen und Männern, die alle gewählt werden wollten. Viel mehr, als es Plätze in der Stadtvertretung gibt. Zu den Gesichtern standen Namen und Sprüche. Manche waren sehr allgemein. Da stand dann: „Für unsere Stadt“. Und auf manchen, wie auf dem von Müller stand eine klare Botschaft: „Eine Brücke zur Südstadt!“
Herr Müller fand das ein bisschen unheimlich. Überall in der Stadt traf er sich jetzt selbst. Verstecken konnte er sich nicht. Er wollte ja gewählt werden. Und plötzlich wurde er von Menschen gegrüßt, die er gar nicht kannte.
Und einmal musst er sogar auf eine große Bühne zu einer Kundgebung. Vor so vielen fremden Menschen hatte er noch nie geredet. Richtige Bauchschmerzen hatte er Müller. Zur Sicherheit hatte er alles aufgeschrieben, was er sagen wollte. Aber als er dann oben stand, mit dem Mikrofon in der Hand, da war er auf einmal ganz ruhig. Den Zettel hat er einfach in der Tasche gelassen und hat von seiner Brücke erzählt. Und davon, was er sonst noch so wichtig findet, in seiner Stadt. Und das Publikum hat genickt, viele haben geklatscht und ein paar haben sogar „Müller, Müller“ gerufen.
Alle Teile unserer Serie im Überblick:
Herr Müller hat die Wahl (Teil 1)
Herr Müller hat die Wahl (Teil 2)
Herr Müller hat die Wahl (Teil 3)
Herr Müller hat die Wahl (Teil 4)
Herr Müller hat die Wahl (Teil 6)
Herr Müller hat die Wahl (Teil 7)