
Mansours Flucht
20 Tage war er unterwegs. Von Damaskus in den Libanon und in die Türkei, von dort mit einem 9x2 Meter großen Boot übers Mittelmeer nach Griechenland. An Bord 16 Leute, darunter Frauen und Kinder. Mehr passten nicht drauf. 1000 US-Dollar musste jeder an die Schlepper zahlen. Nach drei Stunden hatten sie es geschafft. Anders als die Menschen auf dem zweiten Boot. Das sei auf hoher See gekentert, sagt Mansour*. „Vermutlich sind alle ertrunken.“
In Griechenland übernachtete er vier Tage auf der Straße, bevor er sich nach Mazedonien durchschlug. 16 Stunden zu Fuß. Er nahm einen Bus nach Belgrad, wurde von der Polizei geschnappt. Irgendwann schoben sie ihn nach Ungarn ab, bevor er schließlich über Österreich nach Deutschland, Mecklenburg-Vorpommern, Horst und Schwerin kam.
„Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vergangenen Woche. Das gelte auch für Flüchtlinge, „die aus der Hölle eines Bürgerkrieges zu uns kommen.“
Aus der Hölle. So wie Mansour. Zehn seiner Freunde sind tot. Er selbst war es auch schon – das dachte man zumindest in einem Krankenhaus von Damaskus. Er hatte dort als Pfleger gearbeitet. Eines Tages wurden Tote und Verletzte in die Klinik transportiert. Nach einem Giftgasangriff der Assad-Regierung, sagt Mansour. Er wollte helfen und wurde Opfer von Heckenschützen. Dum-Dum-Geschosse. Sechs Treffer. Am Bein, an der Schulter, ein Projektil durchbohrte seinen Hals. „Die Ärzte hielten mich für tot.“
Drei Stunden lag er im Koma, der Atem kaum messbar. Nur langsam wachte er auf. Sechs Monate konnte sich Mansour nicht bewegen, war ans Bett fixiert. Er musste wieder laufen lernen, Schritt für Schritt. Und immer in Angst vor dem syrischen Regime. In dieser Zeit reifte sein Plan. Er wollte vorgehen, die Familie sollte nachkommen.
Heute verbringt Mansour die meiste Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung am Rande von Schwerin, er arbeitet für 1,05 Euro in der Stunde, wo immer er gebraucht wird. Vor allem aber versucht er, seine Frau zu erreichen. Sie ist mit der einjährigen Tochter in Damaskus aufgebrochen, hat die gefährliche Etappe übers Mittelmeer geschafft und sitzt jetzt in Budapest fest. Ihr Handy-Akku ist leer. „Ich habe keinen Kontakt zu ihr“, sagt Mansour.
Mansour hofft auf ein baldiges Wiedersehen. Er möchte in Frieden leben mit seiner Familie.
* Name nicht vollständig. Mansour fürchtet um die Sicherheit seiner Angehörigen in Syrien.