
Sehbehinderte wählen nur fast geheim
Der Brief mit seinen drei Kreuzen ist längst abgeschickt. Klaus Klinke hätte auch am Sonntag Zeit, ins Wahllokal zu gehen. Er könnte eine Vertrauensperson mit in die Kabine nehmen, die für ihn die Kreuze setzt. Zu Hause, am Tisch, war es familiärer. Er saß mit seiner blinden Frau zusammen. Die Kinder waren auch dabei. Die Eltern trafen die Wahl, die Kinder kreuzten an.
Ohne Vertrauensperson keine Stimmabgabe. So geht es allen blinden und sehbehinderten Menschen bei der Kommunalwahl in MV.
Alle reden immer von Inklusion; viel zu oft aber nur im Zusammenhang mit Schule, findet Klaus Klinke. Nicht nur er würde bei den Kommunalwahlen gern ohne Hilfe wählen. So wie bei der Europawahl. Da können er, seine Frau und alle anderen betroffenen Wahlberechtigten selbstständig ihr Kreuz setzen. Dank einer Pappschablone für den Stimmzettel. Sie ist einmal gefaltet, etwas größer als ein DIN-A3-Blatt, aber schmaler. Am rechten Rand reiht sich ein Loch unter das andere. Für jede Partei eines. Insgesamt 24, nummeriert in herkömmlichen Zahlen und in Punktschrift. Liegt der Stimmzettel in der Schablone, stimmen deren Löcher mit den Feldern der Wahlvorschläge überein. An welcher Position die gewünschte Partei steht, kann man sich vorher auf einer beigefügten CD anhören. Darauf wird der Stimmzettel vorgelesen. Kleiner Haken: Wer die Schablone im Wahllokal nutzen möchte, muss sie selbst mitbringen, heißt es bei der Schweriner Wahlbehörde.
Das Schablonen-Prinzip auf Kommunalwahlen zu übertragen, sei logistisch sehr schwierig, so der Blinden- und Sehbehinderten-Verein MV. Um allen Stimmzetteln gerecht zu werden, würde eine Schablone vermutlich nicht ausreichen. Am Ende stellt sich wieder die Frage nach den Kosten.
Wo ein Wille, da ein Weg. Das zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Die dortigen Blinden- und Sehbehindertenvereine haben erstmals eine Schablone für die Kommunalwahl entwickelt – und dass, obwohl sich die Zahl der Stimmzettel landesweit auf mehr als 10.000 summiert. „Jeder betroffene Wahlberechtigte erhält neben der Schablone eine Anleitungs-CD, die mit den jeweiligen Stimmzetteln besprochen ist“, heißt es auf der Internetseite des Kreises Unna. Ein Wille, der Schule machen könnte. Nicht nur Klaus Klinke würde das begrüßen.