Was macht eigentlich... Norbert Claussen?

Im April 2008 wurde der Oberbürgermeister abgewählt. Nach dem Hungertod der kleinen Lea-Sophie musste er die Konsequenzen für die Zustände im Jugendamt tragen. Später wurde es ruhig um ihn. Er blieb in Schwerin, machte sich selbstständig. Eine Rückkehr in die Politik? „Ich verspüre keinerlei Lust, wieder in das Tagesgeschäft einzusteigen“, sagt Claussen. „Aber man sollte nie nie sagen.“
21.04.2015
dieschweriner

Herr Claussen, wo sind Sie 2008 abgeblieben?

In Schwerin. Natürlich haben wir damals auch überlegt, uns zu verändern. Aber zum einen hatte ich keinen Grund zum Weglaufen. Zum anderen fühlen meine Frau und ich uns hier wohl. Wir schätzen die hohe Lebensqualität.

Nach Ihrer Abwahl: Wie ging es weiter? Wurden Sie verabschiedet?

Nein, mit dem Ausscheiden aus dem Amt war ich für meinen alten Wirkungskreis - bis auf wenige Ausnahmen - quasi nicht mehr existent. Es bestand aber auch eine große Unsicherheit, wie man mit einer so ungewohnten Situation umgehen sollte.

Kein Blick zurück im Zorn?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte acht Jahre als Beigeordneter und sechs Jahre als Oberbürgermeister eine spannende berufliche Zeit. Ich wollte nicht nur verwalten, sondern auch gestalten - und das ist mir, glaube ich, zum Teil gelungen und darüber freue ich mich. Aber es war auch immer klar, dass diese Aufgaben auf Zeit vergeben werden. Was mich manchmal ärgert, ist, dass ich einiges nicht zu Ende bringen konnte.

Zum Beispiel?

Die Weiterentwicklung der Beteiligungsverwaltung, den Tourismus nach der Buga, die regionale Zusammenarbeit.

Sie hatten auf einmal viel Zeit…

Ja, das stimmt wohl - und es war in der ersten Zeit auch sehr ungewohnt für mich, denn bis dahin standen immer meine beruflichen Aufgaben im Mittelpunkt meines Lebens - und das meist gefühlt 24 Stunden am Tag. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt und mit dem Wegfall meiner Aufgaben und Verpflichtungen bewegte sich mein Blickwinkel nun wieder mehr in Richtung Familie. Und dieser neue Blickwinkel zeigte mir auch, dass es neben der Arbeit auch weitere sehr wichtige Dinge im Leben gibt. Und heute freue ich mich, dass ich Zeit habe für meine Frau und für meine Töchter (6 und 4 Jahre). Es ist herrlich, sie aufwachsen zu sehen, dafür bin dankbar.

Was machen Sie heute beruflich?

Ich arbeite als selbstständiger Berater, insbesondere an der Nahtstelle zwischen Verwaltung und Wirtschaft. Da kann ich meine Erfahrungen einbringen, nur eben jetzt auf der anderen Seite.

Keine Sehnsucht nach Politik?

Man kann das Interesse an Politik nicht abstellen. Natürlich verfolge ich die Entwicklungen auf allen Ebenen weiter, bilde mir dazu eine Meinung und diskutiere auch gerne darüber. Bei Fragen, die mich in meinem neuen beruflichen Umfeld besonders beschäftigen, versuche ich, Einfluss zu nehmen. Aber ich verspüre keinerlei Lust oder Sehnsucht, wieder in das Tagesgeschäft einzusteigen.

Nicht mal Sehnsucht nach der Schweriner CDU?

Ich bin immer noch Mitglied, aber eher passiv. Es gibt viele Entwicklungen in der Partei, die mir nicht gefallen und die mich nachdenklich machen. Aber das ist nicht nur ein CDU-Thema. Meckern hilft allerdings nicht, Veränderungen können nur durch Mitmachen erreicht werden. Dazu fehlt mir aber, zumindest derzeit, jeglicher Antrieb.

Es wird also keine Rückkehr geben?

Natürlich kommen manchmal Gedanken, wie es denn wäre, wenn man wieder ein Amt übernehmen würde. Was könnte man anders machen? Da fällt mir - mit zunehmendem Abstand - eine Menge ein. Und es ist ja nicht so, dass mir gerade die kommunalpolitische Arbeit keine Freude bereitet hätte. Trotzdem: Ich kann mir heute nicht vorstellen, wieder in den zwangsläufigen Trott zurückzukehren, der Preis wäre mir viel zu hoch. Aber man sollte nie nie sagen.

Der 27. April 2008: Woran erinnern Sie sich?

Das war natürlich eine angespannte Situation - und als sich eine relativ hohe Wahlbeteiligung abzeichnete, war auch das Ergebnis eigentlich klar. An ein Detail erinnere mich immer wieder gerne. Als ich gegen 18 Uhr ins Büro ging und einige meiner engsten Mitarbeiter in doch gedrückter Stimmung zusammensaßen, habe ich Ihnen eröffnet, dass ich im November wieder Vater werde - und dass das wirklich wichtig sei. Die Freude meiner Kollegen ist mir im Gedächtnis geblieben.

Und wie war es in den Wochen zuvor?

Eine deutliche Mehrheit für eine Abwahl war zu erwarten. Fraglich nur, ob die erforderliche Wahlbeteiligung von 33,3 Prozent erreicht werden konnte. Ich habe mir in den Wochen vor dem Termin viele Gedanken darüber gemacht, wie es denn weitergeht, wenn die Abwahl scheitert. Auch das wäre alles andere als einfach geworden - und ich war nicht sicher, ob ich mir das wirklich wünschen sollte.

„Pech gehabt. Sie müssen sich über diese Formulierung heute noch ärgern.

Ich ärgere mich über die internen Abläufe, die zu der Pressekonferenz geführt und meine Kommunikationsstrategie über den Haufen geworfen haben. Die Aussage ist dann aus dem Zusammenhang gerissen worden und allein natürlich missverständlich, und das ist von einigen Schweriner Strategen und Strateginnen geschickt genutzt worden, um Stimmung zu machen. Die Aussage war im richtigen Zusammenhang, aber unverfänglich und letztlich auch nicht wirklich die Ursache für die dann folgende Entwicklung.

Was war denn aus Ihrer Sicht die Ursache?

Einige Stadtvertreter hatten den tragischen Tod des kleinen Mädchens für sich als Profilierungsfeld entdeckt und die regionale mediale Aufmerksamkeit war ihnen dabei sicher. Es musste ein Schuldiger her, es kann doch nicht sein, was nicht sein darf. Schon die Abwahl des Sozialdezernenten in der Stadtvertretung ist meines Erachtens daran gescheitert, dass einige Strategen die Chance erkannt hatten, mit diesem Thema den parteipolitisch ungeliebten Oberbürgermeister loswerden zu können. Um die notwendige Mehrheit in der Stadtvertretung für ein Abwahlverhalten zu erhalten, hat man dann auch massiv parteilichen Druck auf einige Stadtvertreter ausgeübt. Einige haben das in der Sitzung auch offen angesprochen und zugegeben. Am Ende war es also eine klare parteipolitische Interessenlage für die Neubesetzung des Amtes - und der tragische Fall des kleinen Mädchens leider nur Mittel zum Zweck.

Haben Sie eigentlich Kontakt zu Hermann Junghans, dem damaligen Sozialdezernenten?

Der Kontakt war schon in meinen letzten Wochen im Amt eher frostig, nach meinem Ausscheiden gab es keinerlei Verbindung mehr.

Die Fragen stellte: Matthias Hufmann

 

Hintergrund

„Es hätte in jeder anderen Stadt passieren können, und der, dem es passiert ist, hat in diesem Fall Pech gehabt.“ Ein Satz von Norbert Claussen, gefallen am 23. November 2007 auf einer Pressekonferenz. Der Hungertod der kleinen Lea-Sophie: Ein unvermeidbares Unglück?

Das Mädchen war drei Tage zuvor gestorben. Wochenlang hatten die Eltern die Fünfjährige  vernachlässigt. Den Hinweisen, die der Großvater dem Jugendamt gegeben hatte, war die Behörde nur zögerlich nachgegangen. Unglück: ja, unvermeidbar: nein. Zu diesem Ergebnis kam später der eingesetzte Sonderausschuss.

Der Versuch, Sozialdezernent Hermann Junghans von der Stadtvertretung abberufen zu lassen, scheiterte im Februar 2008. Norbert Claussen musste sich zwei Monate danach einem Bürgerentscheid stellen. 29.194 Wähler stimmten gegen ihn. 26.772 Stimmen waren für die Abwahl nötig. Der Oberbürgermeister musste gehen.

 

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