
Die Kindernothelferin
Das Mädchen durchlebe immer noch viele Höhen und Tiefen, sagt Sabrina Arndt. Sie sei in psychologischer Behandlung. „Allerdings nur einmal in der Woche, da die Kapazitäten nicht mehr hergeben“, so die Sozialarbeiterin. „In diesem Bereich muss dringend etwas getan werden.“
Nele heißt in Wirklichkeit nicht Nele, ihr Name ist in diesem Text geändert worden, um die 14-Jährige zu schützen. Ihr Fall ist kein Einzelfall. Das Mädchen hatte so viel Haarspray eingeatmet, wie sie konnte. Sie wollte sich umbringen. War weggetreten, ihre Mutter fand sie ohnmächtig im Kinderzimmer.
2013 haben sich allein in Mecklenburg-Vorpommern 13 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende bis 24 Jahre das Leben genommen, 5 mehr als 2012. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, sagt Arndt. Mögliche Ursachen gebe es viele. Traumatische Erlebnisse, Gewalt oder Trennungen. Auslöser könnten aber auch Mobbing, Versagensängste und Liebeskummer sein. „Bei Nele war der Suizidversuch ein Hilferuf.“ Sie habe eine Psychose und leide unter Depressionen.
Das Problem ist: Frühe Signale werden oft nicht erkannt. Weder von Eltern noch von Lehrern. Deshalb war Arndt viel unterwegs in den vergangenen drei Jahren. Hat aufgeklärt („Hinschauen! Zuhören! Ernst nehmen!“), hat Vorträge gehalten, Schulen und Jugendämter besucht, mit Ärzten und Psychologen gesprochen („Auch die haben manchmal Angst vor dem Thema“) und - nur ein Beispiel - mit der Initiativgruppe „Suizidprävention“* zusammengearbeitet. Denn: „Gefährdete Kinder melden sich nicht von allein.“
Die Arbeit ist wichtig, sagt Arndt. Aber auch vom Aus bedroht. Die 29-Jährige befindet sich seit kurzem im Mutterschutz. Ob es nach ihrer Elternzeit die Fachstelle für Suizidprävention in Schwerin noch geben wird? Sie weiß es nicht. Ende Juni ist die Finanzierung ausgelaufen. Die Aktion Mensch hatte das Projekt seit 2012 gefördert. „Eine längere Weiterfinanzierung konnte noch nicht erreicht werden“, so die Sozialarbeiterin. „Spenden werden benötigt.“ Wer ihre Aufgabe bis zu einer möglichen Rückkehr übernimmt? „Im vollen Umfang? Niemand.“ Als Ansprechpartner stehe der Kinderschutzbund zur Verfügung (Alexandrinenstr. 2, 19055 Schwerin, Telefon 0385/479 15 70, kontakt@dksb-mg.de). Immerhin.
Und Nele? „Ihre Familie ist überaus engagiert und bemüht, weitere Hilfen für ihre Tochter zu organisieren“, so Arndt. Das Mädchen war in der Klinik. Mehrfach hatte sie versucht, sich umzubringen. Sie machte eine Therapie. „Bei einem Armbruch weiß man genau, dass alles wieder verheilt, wir können dagegen nur hoffen und weiterkämpfen“, hatte die Mutter mal der SVZ gesagt.
Arndt hat insgesamt knapp ein Dutzend Notfälle betreut. Fälle wie jener von Nele. „Krisenintervention“, nennt sie das. Einen Suizid hat es dabei zum Glück nie gegeben.
Hintergrund
* Die Initiativgruppe „Suizidprävention“ hat sich in Schwerin zusammengefunden, um aus Anlass des Weltsuizidpräventionstages am 10. September verschiedene Aktionen vorzubereiten. Zur Gruppe zählen die Telefonseelsorge und ihr Förderverein, die Anker Sozialarbeit gGmbH, das städtische Gesundheitsamt, der Seniorenbeirat und der Malteser-Hilfsdienst Schwerin, der Hospizdienst der Caritas Parchim und die Landesfachstelle Suizidprävention. An den geplanten Aktionen wollen sich auch Lehrer und Schüler der Beruflichen Schule für Gesundheit und Soziales Schwerin beteiligen. Die Aktionen im vergangenen Jahr - hier klicken