Die Kitastrophe
Auf der einen Seite sitzt ein Vater, der das Beste für seine kleine Tochter möchte, aber auch seine Prinzipien hat. Auf der anderen die Geschäftsführerin der Kita gGmbH, die ihr Vorgehen für unantastbar hält.
Sich in einem Raum gegenüber gesessen haben beide Seiten schon lange nicht. Zwischen ihnen steht Streit. Streit um ein Stück Papier. Darauf teilt der kommunale Träger im Januar 2015 den Eltern seiner mehr als 2000 Kita-Kinder neue Allgemeine Geschäftsbedingungen mit. Er muss handeln, das Land hat die Vollverpflegung eingeführt. Die Kinder müssen jetzt alle Mahlzeiten von der Kita erhalten. Brotdosen von zu Hause sind nun tabu. Gleichzeitig möchte die Kita gGmbH – wie andere Träger in der Stadt auch – das Essen nicht mehr nach Verbrauch, sondern pauschal abrechnen. 17 Tage pro Monat. Egal, ob das Kind öfter oder seltener da ist.
Viele Eltern akzeptieren die AGB. Einige murren. Familie R. widerspricht. Sie findet: Nur die Allgemeinen Bedingungen zu ändern, das reicht nicht.
Ihre Schreiben an Anke Preuß füllen einen dicken Ordner. Der Vater fordert einen neuen Betreuungsvertrag. Die Kita gGmbH hält alles für richtig geregelt. Daran wird später allerdings auch die Richterin Zweifel äußern.
Der Vater zahlt wie bisher, was Anna wirklich isst. Die Kita mahnt das restliche Geld an.
Der Vater geht zum Aufsichtsrat und Jugendamt, zur Oberbürgermeisterin. Und steht doch alleine da, bereit, weiterzukämpfen.
Der Caterer kündigt den Essenvertrag, verpflegt Anna aber über Monate weiter. Der Vater dringt noch einmal auf einen neuen Betreuungsvertrag. Die Außenstände wachsen. Im Dezember steht Anna vier Tage ohne Kita-Essen da. Bis der kommunale Sozialverband interveniert.
Jetzt reicht es Anke Preuß. Sie kündigt der Familie fristlos den Kitaplatz.
Deshalb sitzen sie jetzt vorm Landgericht.
Der Vater möchte eine rechtsverbindliche vertragliche Entscheidung. Zum Wohle von Anna. Kindeswohl – ihm gehe es doch nur ums Prinzip; und darum, die Geschäftsführung vorzuführen, entgegnet der Kita-Anwalt und packt noch einmal die ordentliche Kündigung auf den Richtertisch. Sicherheitshalber. Für den Fall, dass die Richterin die fristlose abweist. Es stört ihn im Namen seiner Mandantin gewaltig, dass der Vater „das große kommunale Rad gedreht hat“. Der Stadtpräsident hat inzwischen auch schon eine Petition der Familie erhalten. In der Folge müsste sich der Hauptausschuss damit befassen.
Die Argumente fliegen hin und her. Die Richterin fängt sie ein, schlägt vor, zum Wohle von Anna den Streit mit einem Vergleich zu begraben. Die Idee: Anna kann bis zur Einschulung 2017 in der Kita bleiben, die Eltern zahlen das fällige Essengeld (das inzwischen eh wieder nach genauem Verbrauch abgerechnet wird) und lassen auch alle anderen Einwände ruhen.
Kurze Bedenkzeit für alle.
Familie R. ist bereit, die Kröte zu schlucken.
Die Kita gGmbH lehnt ab. Sie wolle sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Familie „mundtot“ zu machen. Keine Möglichkeit für eine Einigung? Die Richterin fragt sicherheitshalber noch mal nach. Keine Möglichkeit! Die Verhandlung ist geschlossen.
Keine Einigung? Ein paar Tage später liest sich das für die Stadtfraktionen in einem Statement des Kita-Anwalts so: „... Wenn es tatsächlich für ihn (den Vater, Anmerk. d. Red.) nicht möglich sein wird, einen neuen Kita-Platz zu finden, ist es denkbar, ihn nach einigen Wochen wieder bei der Kita gGmbH aufzunehmen...“ Was die Adressaten nicht wissen: Das ist nicht ernst gemeint, soll mit Blick auf die Petition nur den politischen Ball bis zum Urteil flach halten.
Landgericht, Sitzungssaal 19. Eine Woche später. Das Urteil steht: Die fristlose Kündigung ist nicht rechtens. Die ordentliche, die in MV auch vom Träger ohne Angabe von Gründen erfolgen kann, schon. Bis März braucht Anna nun einen neuen Kindergartenplatz.
Es ist das (vorläufige) Ende eines Streits, in dem die kleine Anna die große Verliererin ist.
* Name von der Redaktion geändert.