(K)eine Brücke entzweit die Stadt
Der Brief, der Wilhelm Soltau Böses ahnen lässt, landet im November in seinem Briefkasten. Die Stadtverwaltung schreibt ihm. Sie möchte sein Grundstück nutzen. Darauf eine kleine Brücke auf die andere Seite des Bahndamms schlagen. Wie sie darauf kommt? Sein Grundstück grenzt direkt an die Brücke in der Wittenburger Straße und den Bahndamm.
Wilhelm Soltau weiß, dass die alte Brücke abgerissen, eine neue gebaut werden soll. Und er wundert sich. Denn in dem Schreiben von der Stadt geht es für die Zeit der Baustelle um einen Brückenschlag für Leitungen. Leitungen für Gas, Strom und Wasser. Von Fußgängern ist keine Rede. Wir werden doch nicht etwa von der Stadt abgeschnitten?, denkt er noch. Vorstellen kann der Rentner sich das nicht. Die Wittenburger Straße ist doch eine Einfallstraße ins Zentrum, in die Einkaufscenter. Das machen die nicht, denken auch viele andere in der Straße. Doch, die machen.
Die, das sind die Verkehrsplaner der Verwaltung. Seit Monaten rödeln sie, um jeden Baustein für die Großbaustelle zu koordinieren. Es muss jetzt schnell gehen. Nur so gibt es Fördermittel für den Abriss. Unterm Strich knapp 3,6 Millionen. Ein Geldsegen, von dem die Verwaltung erst Mitte vergangenen Jahres erfahren hat. Und der nur dann erteilt wird, wenn die neue Brücke bis Ende 2015 fertig ist. Baubeginn 2016, Bauzeit knapp zwei Jahre – dieser Plan wird über den Haufen geworfen. Und mit ihm die Option für eine Behelfsbrücke für Fußgänger. Die habe es tatsächlich gegeben, sagt Bernd-Rolf Smerdka unserem Magazin gegenüber. Auch wenn sie aus Sicht seines Amts für Verkehrsmanagement gar nicht nötig gewesen wäre, nachdem es im vergangenen Jahr den Verkehr an der Brücke gezählt hat. Dass die Anwohner anders denken, war abzusehen. Vermutlich hätten am Ende die Stadtvertreter darüber entschieden, mutmaßt Smerdka aus heutiger Sicht.
Vor ein paar Tagen bekommt Wilhelm Soltau wieder Post von der Stadt. Im Umschlag liegen Zettel mit Zeichnungen, Tabellen und viel Text. „Machbarkeitsstudie“ steht auf dem Deckblatt. Dass die Verwaltung die 1500 Euro dafür in die Hand genommen hat, verdankt der Schweriner seinem Widerstand und dem der Gewerbetreibenden in der Straße. Gemeinsam kämpfen sie dafür, dass ihnen während der Bauarbeiten der einzige direkte Zugang zur Innenstadt nicht abgeschnitten wird, sie ihre Laufkundschaft nicht verlieren. Viele Ladenbesitzer sind jetzt schon arg gebeutelt, weil die Baustelle am oberen Ende der Wittenburger Straße monatelang die Zufahrt versperrte. Sie schreiben einen offenen Brief und sie klopfen persönlich bei Abteilungsleiter Carsten Bierstedt, Amtsleiter Bernd-Rolf Smerdka und Baudezernent Bernd Nottebaum an. Die verweisen auf den straffen Zeitplan, die Verkehrszählung, machen am Ende ein Zugeständnis: die Studie.
Das Ergebnis ernüchtert nicht nur Anwohner Wilhelm Soltau. Denn: Eine Brücke wäre machbar. Eine, die nur für Fußgänger gedacht ist. Oder auch eine, die die Leitungen und einen Gehweg kombiniert. ABER: Nicht in der Kürze der Zeit. „Wir können nicht einfach eine Holzbrücke über den Bahndamm schlagen. Eine Behelfsbrücke über die Schienen muss speziellen Sicherheitsanforderungen genügen", sagt Amtsleiter Smerdka. Die Querung würde außerdem auf der anderen Seite mitten auf der Baustelle anlanden. „Das wäre viel zu gefährlich.“ Und was wäre bei der Option 2016 anders gewesen? „Der Zeitplan wäre ein anderer gewesen und auf der Reiferbahn müssten nicht so viele Gewerke gleichzeitig auf engem Raum arbeiten.“ Da hätte sich, so Smerdka, ein sicherer Weg über die Baustelle finden lassen.
Die Betroffenen halten das alles für schwache Argumente. Verweisen darauf, dass es 1970 schon einmal eine Behelfsbrücke gab. Sie monieren, dass die Studie vom gleichen Ingenieurbüro stammt wie die Planungen für die neue Brücke. Und sie geben nicht auf. In den Läden straßauf, straßab liegen Listen. Wer für eine Behelfsbrücke ist, kann unterschreiben. 600 bis 700 Unterschriften seien allein bei ihm schon zusammengekommen, sagt Marco Bubnick, Inhaber der Fritz-Reuter-Apotheke. Für ein Bürgerbegehren müssten es am Ende laut Kommunalverfassung insgesamt mindestens 4000 sein. „Wir sind nicht gegen die Brücke.“ Das stellen Wilhelm Soltau und Marco Bubnick klar, auch im Namen der anderen Gewerbetreibenden. „Aber wir sind dagegen, dass unsere Belange und die Auswirkung der Baustelle auf die geschäftlichen Existenzen bei den Planungen keine Rolle spielen.“
Lesen Sie auch: Wer die neue Brücke baut? Noch unklar!