
Nackt in der Schwimmhalle
Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen. Andererseits soll man ja auch ehrlich sein. Nun ja.
Ich liebe Wasser. Ich liebe baden, schwimmen, schnorcheln, tauchen. Ich kann morgens aus dem Bett fallen und aus zwei Meter Höhe einen Salto ins nächstbeste Wasser machen. Und in der Schwimmhalle ist ziemlich viel Wasser. Trotzdem habe ich die Schwimmhalle nie gemocht.
Ich mag Schwimmhallen generell nicht, weil meine Augen so ihre Probleme mit dem Chlorwasser haben. Ich mochte die Schwimmhalle in Lankow speziell nicht, weil sie genau das war, was sie im Namen trug. Eine Halle zum Schwimmen. Und Schwimmen ist kein Spaß. Das kann jeder Schiffbrüchige bestätigen.
Als Kinder mussten wir in diese Halle zum Sportunterricht. Die Kleinen haben dort Schwimmen gelernt und die Großen mussten sich anstrengen, um später stolz ein Pappkärtchen mit der erreichten Schwimmstufe in den Händen halten zu können. Die Stufe II war ja noch okay. 100 Meter in einer Schwimmart, 50 in einer anderen, dazu ein Kopfsprung. Bei Stufe III ging es weiter und auf Zeit. Wer von uns Zwergen konnte schon seine Kraft richtig einteilen. Die letzten Meter waren in der Regel ein Kampf gegen das Ertrinken.
Der Besuch der Schwimmhalle war kein Spaß. Das begann in der Dusche, in der die Badehose ausgezogen werden musste. Für einen kleinen Jungen war das keine Selbstverständlichkeit.
Wer ins Becken wollte, musste eine Badekappe tragen. Dass man damit aussah wie ein Idiot, war nicht schlimm. Sahen ja alle so aus. Aber dieses ziepende Gummi über den Kopf zu ziehen, kann wirklich nur einem Fetischisten gefallen.
Hüter des Beckens war ein Schwimmmeister, der streng darauf achtete, dass niemand in der Schwimmhalle Spaß hatte. Seine Pfeife trillerte, wenn Wassergreif gespielt wurde, wenn versucht wurde, ein Mädchen unterzutauchen. Stuken oder unterstuken haben wir das genannt. Das Wort hat es bis heute nicht in den Duden geschafft. Das Schlimmste aller Vergehen aber war, einfach so ins Becken zu springen. Für eine Arschbombe konnte man aus der Halle fliegen.
Auch wenn es der Schwimmmeister nicht gerne hören wird, wir hatten als Kinder trotzdem Spaß auch ohne Sprungbrett und ohne Rutsche. Später, als ich größer war, bin ich nicht mehr in die Halle gegangen.
Als in den 1980er Jahren Menschen mit Badehosen an der Ostsee zur Minorität wurden, weil die DDR nackt baden ging, selbst die, die als kleine Jungen noch genierlich waren, gab es auch in der Lankower Schwimmhalle einen FKK-Tag. Ich fand das irgendwie komisch. Aber warum nicht? Extra Vorhänge wurden an der Fensterfront montiert und zugezogen. Wer gaffen wollte, sollte gefälligst auch die eigene Hose herunterlassen.
Heute ist der letzte offizielle Badetag in der Lankower Schwimmhalle. Fragt man die Schweriner, ob Schwerin diese Schwimmhalle noch braucht, sagen mindestens 80 Prozent ja. Fragt man die Schweriner ob sie in den letzten drei Jahren mal in der Schwimmhalle waren, sagen mindestens 80 Prozent nein. Es ist das Gefühl, dass wieder ein Stück Lebensqualität verlorengeht. Und die Schweriner haben Recht. Allein die Möglichkeit zu haben, ob ich sie nun nutze oder nicht, ist Lebensqualität. Und mehr Lebensqualität ist das, was Schwerin dringend braucht, damit der Stadt nicht noch mehr Einwohner davonlaufen.
Aber so, wie es aussieht, werden auf meinen Schwimmstufen jetzt Wohnhäuser gebaut. Schweriner Logik. In Schwerin werden Häuser geschreddert, weil die Bevölkerungszahl schrumpft. Da wird dringend neuer Wohnraum gebraucht.
Die Schwimmhalle in Lankow wird abgerissen. Die Stadtvertretung hat es beschlossen, die Fördermittel dafür sind schon beantragt. Komisch, für was es alles Fördermittel gibt.
Meine Schwimmhalle ist Geschichte. Und ich bin traurig.
Ich habe sie nie geliebt, meine Schwimmhalle, aber sie ist, sie war ein Stück Lebensqualität und ein Teil meiner Kindheit.