Stellt euch das mal vor!

Habt ihr Lust auf ein Experiment? Dann schließt eure Augen, bittet jemanden, euch die nächsten Zeilen vorzulesen – und versucht, euch ein Bild dazu vorzustellen. Los geht’s:
11.10.2014
Sylvia Kuska

Im Vordergrund steht eine Frau. Sie trägt eine hochgesteckte Frisur und silbernen Blumenschmuck im Haar. Sie hat helle Haut. Am Hals trägt sie eine eng anliegende Kette. Ihre Arme liegen übereinander vor dem Bauch. Sie hält einen zusammen geklappten Fächer in der Hand. Die Frau steht frontal und schaut zur Seite. Sie trägt ein weit ausgestelltes Kleid aus feinen seidigen Stoffen, das mit Gold und Schleifen verziert ist. Die Frau hat spitze, gold-silberne Schuhe an. Links vor ihr steht ein kleiner Hund. Er hat ein flauschiges weißes Fell mit braunen Flecken auf dem Rücken und braune Ohren. Seine Augen sind schwarz. Rechts im Hintergrund ist ein großer, roter Vorhang zu sehen. Links davon führt ein Durchgang zum Schlosspark.

Na, habt ihr ein Bild von der Frau im Kopf?

Anna und Franziska haben gerade ein Gemälde von Sophie-Charlotte beschrieben. Sophie-Charlotte wurde in 1744 in Mirow geboren, heiratete George III., einen englischen König, – und wurde so Königin von England.

Die beiden Mädchen gehen in die 6b im Pädagogium. In dieser Woche waren sie mit ihrer Klasse im Museum in Schwerin. Vor ihnen sitzen Frauen und Männer, die nichts oder nur ganz wenig sehen. Sie können im Museum also nicht einfach von Bild zu Bild schlendern und sich alles anschauen. Sie sind darauf angwiesen, dass ihnen jemand die Bilder genau beschreibt. Manchmal machen das Stimmen in Kopfhörern. Manchmal Museumsführer. Und diesmal die Schüler.

Insgesamt vier Bilder fassen Anna, Franziska, Tim, Tobias, Lennart, Malte und die anderen aus ihrer Klasse in viele Worte. Dazu haben sie vor ein paar Tagen schon einmal ein paar Stunden im Museum verbracht. Sich die Bilder ganz genau angeschaut. Versucht, jedes Detail zu erfassen. „Das war gar nicht so einfach“, sagt Nele. Den Mann, der auf einem der Bilder an einen Baum pullert, hätten sie erst auf den zweiten Blick entdeckt, erzählen die Kinder.

Manchmal fragen ihre Zuhörer nach. Hat der Hund Schlappohren? Trägt die Frau eine Krone im Haar? Steht sie auf einem Teppich oder Steinboden? Ist das Bild hoch- oder querformatig? Je mehr Details die Kinder den Frauen und Männern geben, umso präziser wird das Bild im Kopf ihrer Zuhörer.

„Das habt ihr gut gemacht“, sagt Silke Eisenhuth. Sie kann das Gemälde von Sophie-Charlotte zwar nicht mit ihren Augen sehen. Sich nun aber gut vorstellen, wie es aussieht. Ob es in ihrer Phantasie genauso aussieht wie im Original, das weiß sie nicht. Aber das sei auch nicht wichtig. Menschen, die sehen können und sich ein Bild anschauen, erkennen darin auch nicht immer dasselbe, sagt sie.

Anders, als die Zuhörer von Anna und Franziska im Museum könnt ihr das Gemälde jetzt mit eigenen Augen sehen. Und? Sieht es nach dem Experiment in eurer Vorstellung ungefähr so aus wie auf dem Foto?