
Zieht diese Lok bald den „Molli von Schwerin“?
Das Pfeifen der Dampflok, es war der Startschuss. Das Signal, draußen im Garten die Tassen auf dem gedeckten Tisch umzudrehen. Wenn wir uns schnell genug von unserem Spiel lösen konnten, schafften wir es, den Ruß auszusperren. Dreimal am Tag schnaubte das Dampfross 50 Meter und einen kleinen Holzzaun weiter an den Wochenenden an uns vorbei. Pfiff dabei, als wusste es genau, dass wir im Garten stehen, auf sein Tönen warten. Warum wir den Tisch nicht einfach ein bisschen später gedeckt haben? Das wusste vermutlich nur Oma. Vielleicht, damit ich mich jetzt an diese Kindheitstage aus den frühen 90ern erinnere.

Frank Fischer öffnet das Tor zum Lokschuppen. Dahinter ist die Idee, die die Mecklenburgischen Eisenbahnfreunde Schwerin haben, zum Greifen nah. In Gedanken sieht der Vereinsvorsitzende die schwarze Lok schon aus dem Schuppen rollen, sich mit sechs, vielleicht acht historischen Waggons auf die Reise nach Wismar machen.
Den Schweriner Eisenbahnfreunden ist nicht entgangen, dass sich die Zahl der Kreuzfahrtanläufe in der Hansestadt seit ein paar Jahren stetig erhöht hat. Ein Trend, den der Verein nicht vorbeiziehen lassen möchte. Für sich. Für sein Eisenbahnmuseum. Für Schwerin. Seine Hoffnung: Die Kreuzfahrer haben nach der Schifffahrt erst Lust auf Zug und dann auf einen Bummel durch die Landeshauptstadt. Und Schweriner umgekehrt auf Ausflüge in die Hansestadt. Das Prinzip, ähnlich wie beim Molli, nur auf normaler Spur.
Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich einer großen Dampflok so nah komme. Ich hatte ganz vergessen, wie ehrfürchtig ich schon früher lieber einen Schritt weiter weg geblieben bin. Und wie klein man nicht nur als Kind neben ihr ist. Ein paar Fenster verhindern, dass die Düsterkeit der Halle den schwarzen, matten Rumpf verschluckt. Für (m)ein Laienauge scheint sie optisch gut in Schuss, so als könnte sie gleich die alte Halle hinter dem Hauptbahnhof verlassen. „Lieber nicht“, sagt Frank Fischer. Die Schienenlady hat schon 116 Jahre auf dem Buckel, „ist damit Deutschlands älteste, noch fahrtüchtige Normalspurlok“. Im Moment jedoch nicht ganz so fahrtüchtig. Ihr Herzstück, der Dampfkessel, jener, der 1898 eingebaut wurde, will in dem betagten Alter nicht mehr. Das Material ist müde.

Und die Kreuzfahrttouristen? Für die soll ein Fördertopf angezapft werden. Einer, mit dem die wirtschaftsnahe Infrastruktur gefördert wird – in dem Fall Tourismus. Mehr als 450.000 Euro bräuchte der Verein, um die Lok wieder flott zu machen und auf mindestens acht Jahre hin fahrtüchtig zu halten. Acht Jahre, damit keine Fördergelder zurückgezahlt werden müssen. Fast 364.000 Euro sollen aus dem Förderprogramm kommen.
So viel Geld für eine Lok, wo andererseits soziale Einrichtungen, Musikschulen, Straßen, Theater ständigen Sparzwängen unterliegen? Man kann sich darüber empören. Oder dem Verein zugestehen, dass er die Möglichkeiten nutzt, die ihm die Förderpolitik bietet. Der Antrag liege seit Mai beim Landesförderinstitut. Entschieden sei bislang nichts.
Woher die Eisenbahnfreunde ihren Optimismus nehmen, dass sich die Idee tragen könnte? Aus den Erfahrungen zur Bundesgartenschau. Damals fuhr der historische Zug Besucher von Schwerin zu den Außenstandorten nach Rehna, Parchim und Ludwigslust. Eine Rechnung, die am Ende aufging.
Den geografischen Radius gibt die Kohle vor. Die Heizkohle. Sie reicht für 50 bis 70 Kilometer, Wasser sogar nur für 35 Kilometer. Deshalb Wismar.

Und wenn es mit der Förderung nicht klappt? „Dann bleibt die Lok ein reines Museumsstück.“ Ein besonderes. Und das nicht nur wegen des Alters. „Ihretwegen gibt es den Verein“, sagt Frank Fischer. Fast 20 Jahre war sie als Rangierlok in Schwerin im Einsatz. „Wer hier in der Region eine Dampflokberechtigung hatte, hat auf dieser Lok angefangen.“ Bis sie 1966 den Eisenbahntüv nicht bestand und ausrangiert wurde. Fast zwei Jahrzehnte stand sie im Verkehrsmuseum in Dresden. Dann kam sie nach Schwerin zurück. Fortan kümmerte sich die Brigade „Traditionslok 91134“ um das historische Gefährt. Ein paar Monate später gründete sich die Arbeitsgemeinschaft „Mecklenburgische Eisenbahnfreunde“. Anfang der 90er wurde aus Brigade und AG ein Verein. Im Frühjahr 2006 eröffnete er das Eisenbahnmuseum, kurz darauf kaufte er der Deutschen Bahn die alte Lok ab.
Sollte die Förderquelle sprudeln, müsste sie nochmal auf weite Reise gehen. Bis ins Dampflokwerk nach Meiningen. Wie es aussehen könnte, wenn die Lok danach in Richtung Wismar losschnaubt? Dann klicken Sie auf dieses You-Tube-Video. Falls sie dabei mal an mir vorbeifährt, werde ich vermutlich reflexartig die Kaffeetasse umdrehen.