Der doppelte Andreas B. - die Geschichte einer Verwechslung

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Namensvetter in der Stadt. Dieser Namensvetter wird betrunken und hilflos auf der Straße gefunden und mit dem Rettungswagen zu Helios gefahren. Den Kostenanteil für diesen Einsatz? Den sollen Sie zahlen. Denn eine Verwechslung halten alle für ausgeschlossen. Gibt es nicht? Dann lesen Sie mal die Geschichte von Andreas B.
18.09.2014
Matthias Hufmann

Eine Verwechslung kann ja mal passieren, dachte sich Andreas B., als ihn die Techniker Krankenkasse aufforderte, eine Rechnung von 10 Euro zu begleichen. Die Zuzahlung für einen Transport im Rettungswagen, für einen Transport, den er nie benötigt hatte. Eine Mail dürfte genügen. Eine Entschuldigung der Kasse vielleicht, das sollte es gewesen sein.

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Die Entschuldigung kam aber nicht. Stattdessen eine weitere Zahlungsaufforderung samt Stellungnahme des Rettungsdienstleiters. Und die hatte es in sich. „Mit großem Interesse und erheblichem Erstaunen haben wir Ihr Schreiben (das der TK, die Redaktion) incl. Rückforderung vom 07.01.2014 sowie die per Mail an Ihnen verschickte Erklärung des Herrn Andreas B. (Name von der Redaktion abgekürzt) zur Kenntnis genommen“, schreibt der Ärztliche Leiter Jörg Allrich am 11. Februar. „Unsere Nachforschungen einschließlich Abhören der digitalen Notrufsprachaufzeichnung (...), Gesprächen mit den am Einsatz beteiligten Einsatzkräften, Nachfragen im Helios Klinikum sowie bei der örtlichen Polizei“ hätten ein klares Bild ergeben.

Und dieses Bild sieht so aus.

1. Am 9. August 2013 geht gegen 22.18 Uhr ein Notruf in der Leitstelle ein. Ein Passant meldet eine bewusstlose Person, die auf einer Parkbank in der Innenstadt liegt.
2. Die alarmierten Rettungskräfte vermuten eine schwere Alkoholvergiftung.
3. Der Patient wird identifiziert als Andreas B., geboren am 24. Juli 1969.
4. Transport zu Helios.
5. Der Patient wird in der Klinik ebenfalls als Andreas B. identifiziert, geboren am 24. Juli 1969. Die herbeigerufene Polizei bestätigt diese Angaben.
6. Eine Krankenakte wird angelegt, plus Bericht über die Notfallbehandlung.
7. „Eine Verwechslung des Patienten ist ausgeschlossen, da Herr Andreas B. inzwischen allen Mitarbeitern des Rettungsdienstes (…) als auch der Helios Kliniken Schwerin persönlich bekannt ist“, heißt es in der Stellungnahme.

Andreas B. hatte jetzt ein Problem. Von den Rettungskräften glaubte ihm keiner, dass er am 9. August 2013 nirgendwo herumlag, sondern zu Hause bei seiner Familie war. Was aber tun? Die Beschwerde bei der TK blieb ohne Ergebnis. Also den Ärztlichen Leiter anrufen und tatsächlich eine Gegenüberstellung fordern. Das half. Ein Datenabgleich ergab: In Schwerin lebt ein zweiter Andreas B.

Der erste wandte sich an unser Magazin. Seine Sorge: Was bleibt in der Krankenakte zurück? Nachfrage bei der Techniker Krankenkasse: Alles gelöscht. Herr B. könne gern vorbeikommen und das überprüfen. Nachfrage bei Helios: Alles gelöscht. Nachfrage beim Rettungsdienstleiter: „Ich nutze die Gelegenheit, mich nochmals im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes der Landeshauptstadt Schwerin bei Herrn B. und seiner Familie für die Namensverwechslung zu entschuldigen“, antwortet Jörg Allrich in einer Mail.

Was aber ist genau passiert am 9. August 2013?

1. „Das alarmierte Team des Rettungsdienstes kannte den Patienten nicht“, schreibt Allrich jetzt. „Da der Patient keine Ausweispapiere bei sich trug, wurde er als zunächst unbekannter Patient in die Zentrale Notaufnahme des Helios Klinikums Schwerin transportiert. Weil er dort in der jüngsten Vergangenheit des Öfteren als Patient stationär behandelt worden war, konnte ihn die aufnehmende Krankenschwester als Herrn Andreas B. identifizieren.“
2. Zum Namen Andreas B. erscheinen zwei Datensätze im Computersystem, „allerdings nicht mit dem richtigen Geburtsdatum und auch nicht mit der richtigen Wohnanschrift des bewusstlos eingewiesenen Andreas B.“, so Allrich. Fälschlicherweise sei also bei Namensgleichheit durch eine Nachlässigkeit der Krankenschwester dem  Patienten eine falsche Identität zugeordnet worden.
3. Die Personenangaben werden im Einsatzprotokoll übernommen. Eine spätere Überprüfung fällt aus, weil sich der zwischenzeitlich aufgewachte Patient ohne Abmeldung aus der Klinik entfernt hat.
4. Das Einsatzprotokoll ist die Grundlage für die Abrechnung mit der Krankenkasse.
5. „Und dann bin ich ins Spiel gekommen“, schreibt Allrich an die Redaktion. „Ich habe im falschen Glauben an die richtige Identität des am 09.08.2013 durch uns transportierten bewusstlosen Patienten der Kasse entsprechend geantwortet.“
6. „Erst als sich Frau B. im Namen ihres Mannes bei mir gemeldet hatte, wurde mir bewusst, dass eine Verwechslung vorliegen musste, weil Frau B. erstens sehr nett, sympathisch und absolut glaubwürdig aufgetreten war und zweitens meines Wissens der mir bekannte Andreas B. keine Ehefrau hat.“

Der Ärztliche Leiter hat inzwischen der Krankenkasse den Fehler mitgeteilt und sich auch dort entschuldigt. „Die Rechnung wurde storniert und aus unserem System vollständig entfernt“, so Allrich. „Ich kann auch bestätigen, dass sowohl das Einsatzprotokoll vom 09.08.2013 als auch die Daten in unserem Computersystem geändert worden sind.“ Es sei in den vergangenen zehn Jahren bei geschätzten 750.000 Kontakten mit Notfallpatienten in Westmecklenburg das erste Mal passiert, dass ein Patient verwechselt wurde, „glücklicherweise ohne eine praktische medizinische Relevanz.“

Und die Konsequenz aus dem Fall? „Mit allen Mitarbeitern sowohl im Rettungsdienst als auch in der Notaufnahme des Krankenhauses wurde dieses unschöne Ereignis besprochen und ausgewertet.“

Andreas B. musste sich am 18. Juni tatsächlich bei Helios behandeln lassen. Nichts Schlimmes, morgens hin, abends wieder nach Hause. Es gab auch keine Verwechslung. Nur über ein Helios-Schreiben wunderte er sich. Die Leistungen sollten mit der Barmer GEK abgerechnet werden. Die jedoch hatte er vor einem Jahr verlassen.