Die Vollverpflegung und der Schwarze Peter

  • Kuska
Ein Synonym für Tohuwabohu? Vollverpflegung! In sieben Wochen wird sie Pflicht in allen Kitas. Während viele Eltern aus allen Wolken fallen, spielen Land, Stadt und Träger Schwarzer Peter. Wer ihn am Ende tatsächlich in der Hand hält? Einmal dürfen Sie raten!
11.11.2014
Sylvia Kuska

Als Birgit Hesse am Montagmorgen Zimmer 106 betritt, ist sie überrascht. So viele Leute hat die Sozialministerin zu ihrer Pressekonferenz nicht erwartet. Wirklich nicht? Bei einem Thema, das gerade so richtig hochkocht – und den Ministeriumsbriefkasten mit Elternbeschwerden füllt? 

Ein paar Journalisten sind gekommen. Klar, ist ja eine Pressekonferenz. Und noch mehr Eltern und Mitarbeiter von Kita-Trägern. Aus Wismar, von der Mecklenburgischen Seenplatte, aus Rostock, aus Ludwigslust. Sie haben Fragen. Viele Fragen. Zu einem Gesetz, das 2010 beschlossen wurde, 2013 novelliert - und jetzt viele Eltern kalt erwischt.

"Vollverpflegung" heißt das Schlagwort. Das bedeutet: Krippen und Kindergärten müssen für ein gesundes und ausgewogenes Frühstück, Mittag, Vesper und gegebenenfalls Abendbrot sorgen. Bisher regelte das jede Kita selbst. Manche setzen das Konzept schon freiwillig um. In anderen geben Eltern ihren Kindern zum Frühstück Brote mit. Oder Obst für die Zwischenmahlzeit. Das fällt ab Januar weg.

Die Stimmung unter den Eltern kocht hoch. Sie fühlen sich bevormundet, schlecht informiert, vor vollendete Tatsachen gestellt. "Wo bleibt unsere Selbstbestimmung?" „Über den Elternrat erhalten“, argumentiert die Ministerin. Wer garantiert eine gute Qualität des Essens? „Grundlage sind die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.“ Gerhard Bley, ihr Abteilungsleiter für Jugend und Familie, räumt aber ein: Das sei mehr eine Empfehlung als eine Verpflichtung. Wer kontrolliert die Einhaltung? Im Zweifel die Eltern, indem sie sich über schlechtes Essen beschweren. „Und warum erfahren wir all das erst jetzt?“ Ja, warum eigentlich?

Diesen Schwarzen Peter behält Birgit Hesse nicht in der Hand. Das Gesetz gebe es seit 2010. Seit 2013 sei klar, dass die Vollverpflegung 2015 Pflicht wird. „80 Prozent der Kitas im Land nutzen die Vollverpflegung bereits freiwillig – und das funktioniert wunderbar.“ Wieso manche Träger erst jetzt darauf reagieren, könne sie auch nicht nachvollziehen.

Ortswechsel. Montagabend. Stadtvertretersitzung in Schwerin. Die Vollverpflegung ist Tagesordnungspunkt 17. Die Fraktion „Die Linke“ fordert in ihrem Antrag, Eltern umfassend über die Neuregelungen bei der Essensversorgung zu informieren. Sie wirft der Verwaltung vor, als Träger der örtlichen Jugendhilfe das Thema zu lange nicht ernst genommen zu haben. „Wir haben das Thema nicht laufen lassen“, kontert Sozialdezernenet Dieter Niesen. Im März habe es ein Gespräch mit den Trägern gegeben. Die Vollverpflegung sei einer von drei Punkten, die Kita gGmbH als größter Träger nicht dabei gewesen. Die nächste Sitzung habe es im September gegeben.

Die Träger sollen Schuld an dem Tohuwabohu sein? Die Kita gGmbH lässt das nicht auf sich sitzen. Verweist auf die Konsequenzen, die das neue Gesetz mit sich bringt: Ausstattungen müssen erweitert, Mitarbeiter für die Abrechnung eingestellt, Software angepasst werden. Sie findet den Antrag der Linken nicht gut. Die Stadtvertreter nehmen ihn mit sechs Stimmen Enthaltung trotzdem an.

Einig sind sich Ministerin Hesse, Verwaltung und Stadtvertreter, dass die Mitbestimmung der Eltern bei der Umsetzung des Gesetzes auf keinen Fall beschnitten werden dürfe. Dafür ist es in Schwerin zu spät. Kita gGmbH, Awo und Diakoniewerk Neues Ufer haben bereits beschlossen, das Essen künftig für 17 Tage pro Monat pauschal abzurechnen. Unabhängig davon, wie viele Mahlzeiten die Kinder tatsächlich nutzen. Und unabhängig von der Meinung der Eltern. Die halten den Schwarzen Peter längst in der Hand. 

Mehr zum Thema erfahren Sie hier: Zehn Fakten zur Vollverpflegung

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