Hauptsache weg: Der Fall des Asylbewerbers Y.

Morgens um 5 hat es geklingelt. Sie holten ihn ab. Nach Berlin. Von dort flog er weiter. Der 21-jährige Y. aus Ghana musste wegen Dublin II nach Italien. Ob er krank war, kann niemand mehr feststellen.
22.01.2015
Matthias Hufmann

Geklingelt haben drei Polizisten und ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Angekündigt waren sie nicht, er hatte sich schon einmal der Überstellung entzogen. Er musste schnell seine Sachen packen. Dann ging es los. Am Dienstag von Schwerin ins Ungewisse. Rechtens? Das Innenministerium antwortete mit Paragrafen - § 34a, § 40 des Asylverfahrensgesetzes – und mit Dublin II. Die Verordnung sieht vor, dass jeweils das Land zuständig ist für das Asylverfahren, über das der Asylbewerber in die EU eingereist war. Hier also Italien.

Vermeintlich ist es ein Beispiel von vielen. Asyl-Routine. Nur: Der 21-Jährige hatte sich kurz vor Weihnachten bei der Polizei gemeldet und Anzeige erstattet. Er wäre am Vortag von drei Männer angegriffen und mit einem Baseballschläger verletzt worden. Das Portemonnaie: geraubt. Dazu eine Prellung, Blutergüsse, Behandlung im Klinikum. Eine rassistisch motivierte Tat?

Der Fall werde noch in der Kriminalpolizeiinspektion Schwerin, Bereich Staatsschutzkriminalität, bearbeitet, bestätigte eine Sprecherin. Es würden Zeugen fehlen. Und von den Tatverdächtigen keine Spur. Aber: Die Staatsanwaltschaft habe den Fall nicht eingestellt. Und der Ghanaer? Seine Anwesenheit sei für die weiteren Ermittlungen nicht erforderlich, teilte die Stadtverwaltung mit. Das hätte die Abstimmung mit Polizei bzw. Staatsanwaltschaft ergeben.

Das mutmaßliche Opfer ist – weg. Dabei hätte er zumindest weitere medizinische Hilfe benötigt, sagte Tim Bleis von der Opferberatung Lobbi. „Er zeigte deutliche Anzeichen einer Traumatisierung, litt an massiven Schlafstörungen, konnte sich nicht konzentrieren oder sich angstfrei auf der Straße bewegen.“ Lobbi hätte bereits Kontakt aufgenommen mit der Trauma-Ambulanz von Helios. „Eine Abschiebung in so einer Situation ist ungeheuerlich.“

Traumatisiert nach Italien? Ausgerechnet? „Seit Jahren ist klar, dass Flüchtlinge in Italien oft obdachlos und ohne staatliche Hilfe sich selbst überlassen werden. Es gibt nicht einmal annähernd ausreichende Unterbringungskapazitäten, vielen fehlt selbst einfache medizinische Hilfe“, teilte Marei Pelzer von Pro Asyl mit.

„Wir hätten ihm vielleicht helfen können“, sagte Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat MV. Anträge stellen. Eventuell Kirchenasyl. „Opfer rassistischer Gewalt brauchen ein Bleiberecht in Deutschland.“ Das Problem ist: Der Flüchtlingsrat hatte keinen Kontakt zu dem 21-Jährigen. Vor allem die Betreuer des Asylbewerbers hätten sich kümmern müssen, so Seemann-Katz.

„So, wie sich dieser Fall derzeit für uns darstellt, setzt er ein falsches Signal“, sagte Jürgen Suhr, Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Die Opfer rechter Gewalttaten werden abgeschoben und die Täter kommen ohne Strafverfahren davon. Wir verlangen von der Landesregierung eine Erklärung für dieses Vorgehen.“ Die Grünen haben den Vorfall zum Thema einer Kleinen Anfrage gemacht.

Und wie reagierten die Behörden? Zu keinem Zeitpunkt wäre bekannt gewesen, „dass der betroffene Asylbewerber unter gesundheitlichen Problemen leidet, die einer Überstellung entgegenstehen könnten“, sagte das Innenministerium. „Wäre dies der Fall gewesen, hätte sich das Landesamt, wie in solchen Fällen üblich, die Flug- und Reisetauglichkeit durch einen Arzt bestätigen lassen.“

Hätte.


Hintergrund

§ 34a Abschiebungsanordnung (Asylverfahrensgesetz)
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig.

§ 40 Unterrichtung der Ausländerbehörde (Asylverfahrensgesetz)
(1) Das Bundesamt unterrichtet unverzüglich die Ausländerbehörde, in deren Bezirk sich der Ausländer aufzuhalten hat, über eine vollziehbare Abschiebungsandrohung und leitet ihr unverzüglich alle für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen zu. Das Gleiche gilt, wenn das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes nur hinsichtlich der Abschiebung in den betreffenden Staat angeordnet hat und das Bundesamt das Asylverfahren nicht fortführt.

(2) Das Bundesamt unterrichtet unverzüglich die Ausländerbehörde, wenn das Verwaltungsgericht in den Fällen des § 38 Absatz 2 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anordnet.

(3) Stellt das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebungsanordnung (§ 34a) zu, unterrichtet es unverzüglich die für die Abschiebung zuständige Behörde über die Zustellung.

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