Roland Regge-Schulz

25 oder Honecker statt Joghurt

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25 Jahre, ein Vierteljahrhundert, ein Jubiläum – Zeit zurückzuschauen, Zeit um Erinnerungen wachzuküssen. Leider ist dafür so gar keine Zeit. Dabei war das Jahr vor 25 Jahren das spannendste, aufregendste Jahr aller Jahre.

Bankenkrise, Eurokrise, Griechenlandkrise, Flüchtlingskrise und dann stürzen auch noch die Betrüger von VW die deutsche Wirtschaft in die Krise. Alles rappelt durcheinander. Krisenmanagement statt Rückblick. Es ist zum Heulen.

Es hätte so ein schönes Jahr sein können. Zurückgelehnt im weichen Sessel hätte man jeden Tag eine Geschichte aus der Erinnerung kramen können. Hätte damit ein Tagebuch füllen können, dass man damals in all der Aufregung vergessen hat, zu führen.
Es war ja alles neu, damals vor 25 Jahren, von Oktober zu Oktober im Osten Deutschlands.
Große Geschichten, kleine Geschichten, die jede für sich allein schon das Aufschreiben lohnen.

Wie der Freund in Prag über einen Zaun geklettert ist.
Wie man gesessen hat im Betrieb und Nachtschichten durchdiskutiert hat.
Wie am Ende alle so besoffen waren, dass an arbeiten, gar nicht mehr zu denken war.
Wie dem Neuen Forum zugejubelt wurde.
Wie die Montagsdemos sich durch die Städte wälzten. Und man mittendrin war und die Angst einfach zu Hause gelassen hat.
Wie Honecker zurückgetreten wurde.
Wie die Mauer plötzlich fiel.
Wie Egon Krenz die Fans davonliefen.
Wie man das Begrüßungsgeld abgeholt hat. Die meisten einmal, einige zweimal und manche noch viel öfter.
Wofür man das Begrüßungsgeld ausgegeben hat.
Wie man sich das erste Mal mit Lünebest-Joghurt überfressen hat.
Wie man plötzlich, mitten im Sommer richtiges Geld in der Tasche hatte.
Wie die Stonewashed-Jeans plötzlich zum peinlichen Kleidungsstück wurde.
Wie durch Zauberhand auf einmal die Einkaufsmärkte mit Waren geflutet waren.
Wie man den ersten Big-Mac gegessen hat.
Wie Helmut Kohl plötzlich wieder dicke da war und keiner das Neue Forum gewählt hat.
Wie die DDR kurz vor ihrem 41. Geburtstag einfach verschwand.

Irgendwann schreibe ich all diese Geschichten auf. Wenn die Welt keine Krise hat und der Kopf frei für Erinnerungen ist. Für alle, für die es normal ist, dann man Schnitzel und Rouladen kauft, wenn man Appetit darauf hat.