Eine Kolumne von Roland Regge-Schulz

Der Postkartenkalender, ein doppelter Anachronismus

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Kalender wohnen im Handy und Postkarten verschickt heute kein Mensch mehr. Höchstens noch Ältere, die sich nicht so auskennen, mit dem Smartphone und mit Whatsapp und Facebook und so. Menschen wie Oma Trude und Tante Hilde. Und ich. Und das kam so:

Einen Postkartenkalender habe ich bekommen. Einen mit Cartoons, mit fiesen Bildern. Ziemlich lustig. Und da steht er jetzt, klein und bunt auf dem großen grauen Tisch. Woche für Woche schenkt er mir ein überflüssig gewordenes Kalenderblatt. Fein säuberlich perforiert, so dass ich ohne Mühe das Kalendarium abtrennen kann. Ich knibbel ein bisschen rum und schon halte ich eine Postkarte in der Hand.
Und jetzt? Wegschmeißen?
Kann ich nicht. Konnte ich noch nie so gut. Irgendetwas wegschmeißen, was man später vielleicht noch einmal gebrauchen könnte. Die Mülltonnen waren immer halbleer, damals, im Schatten der Mauer.
Also aufheben?
Kein guter Plan.
Also dem Verwendungszweck zuführen? Verschicken?
Dabei verschicke ich schon seit Jahren keine Postkarten mehr. Postkarten verschicken ist so etwas von gestern. Dafür hat man doch ein Handy. Ein Selfie vor dem Eiffelturm, zack, zur Neidbildung ruckzuck gesendet via Mail, Facebook, Twitter oder whats sonst auch immer und fertig ist der Urlaubsgruß. Ich finde diese Elektrogrüße doof. Und deshalb verschicke ich keine Urlaubsgrüße elektronisch und gratuliere nur spärlich per Facebook zum Geburtstag. Was zur Folge hat, dass es von mir seit Jahren kaum Urlaubsgrüße und keine Geburtstags- und Weihnachtskarten mehr gibt.
Allerdings, Anachronismus hin oder her, ich freue mich, wenn ich mal eine Karte bekomme. Wenn zwischen den Rechnungsstapeln der Post mal etwas Buntes hervorlugt.

Also doch verschicken. Ich schreibe ein bisschen Blabla auf die Karte und stolpere zur Post, eine passende Marke kaufen. Die Post ist ein Erlebnis. Noch so ein Anachronismus. Die Post ist eine der wenigen Stellen, wo man sich noch richtig DDR fühlen kann. Wo kann man sonst noch wegen einer Lappalie in einer langen Schlange geduldig warten?

Ich überlege, ob ich Marken gleich auf Vorrat kaufe. Aber dann hat die Post mein Geld. Und mit Briefmarken kann ich keine Bockwurst kaufen. Oder noch schlimmer, die Post dreht mal wieder an der Portoschraube und ich muss mich nochmal anstellen.

Ich entscheide mich für einen kleinen Markenvorrat. Und wenn der ausgeht und die Schlange bei der Post zu lang ist, kann ich ja immer noch die Postkarte mit dem Handy fotografieren und per WhatsApp verschicken.


P.S. Habe gerade festgestellt, dass ich viel mehr Mailadressen als Postanschriften habe. Also wer eine Postkarte haben möchte, sollte mir mal die Adresse schicken. Per Mail reicht.