Roland Regge-Schulz

Die Finnen? Die spinnen. Die Finnen.

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Am Sonnabend singt Europa um die Wette. Und wer geglaubt hat, nach der Wurst vom letzten Jahr kann es nicht noch schlimmer kommen, der wird eines besseren belehrt. Schon wieder sind es die Finnen, die mein Verhältnis zum Eurovision Song Contest auf den Kopf stellen.

Als der Eurovision Song Contest noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß, war er mir völlig egal. Als er endlich umbenannt wurde und ich seinen Namen wenigstens halbwegs richtig aussprechen konnte, wurde mein Verhältnis nur ein bisschen besser.
Als Horst Köhler (nicht der spätere Bundespräsident sondern der andere) 1998 den siebenten Platz belegte, war mir das piepegal. Als sich zwei Jahre später Stefan Raab mit „Wadde hadde dudde da?“ über die große Bühne alberte, ging mir das am... aber so was von.
Bis 2006 meine Fernbedienung zufällig in die Auswertung des Eurovision Song Contestes zappte und martialisch geschminkte Gruselrocker Punkte aus aller Herren Länder bekamen.
„Lordi“ hieß die Truppe. Finnen waren das. Die passten so gut in den ESC wie eine Kakerlake ins Sternelokal. Und die haben das Ding gewonnen, damals in Athen. Der erste finnische Sieg beim ESC überhaupt. Wie paralysiert bin ich damals vor dem Fernseher sitzengeblieben, habe mir die ganze Nachberichterstattung angesehen und am nächsten Morgen, immer noch nicht wieder Herr meiner Sinne, habe ich darüber geschrieben, in der Zeitung.
Fortan galt ich als ESC-Experte. Habe Jahr für Jahr mir die Lieder vorab angehört und Kommentare dazu geschrieben. Habe Tipps für das Finale abgegeben und immer falsch gelegen. Nur einmal nicht. Da hat Lena in Oslo gewonnen.
Das war der Höhepunkt meines ESC-Expertentums. Danach ging es nur noch bergab. Mit den Jahren ging mir diese von Windmaschinen zerzausten, dünnstimmigen Popliederchen immer mehr auf den Senkel. Es war die schiere Menge dieses Zeugs, die mich ESC-Abende lang quälte. Oh, ja, es gab auch gute Musik. Jedes Jahr. Ehrliche handgemachte Songs, raue Stimmen, schrammelige Gitarren und gute Laune aus Moldawien. Nur landete die immer irgendwo weit hinten.
Um aus dem ganzen Einheitsbrei hervorzustechen, musste man sich schon etwas einfallen lassen. Ich sage nur Lordi. Oder Alexander Ryback. In Weißrussland geboren, für Norwegen am Start und konnte nicht nur singen, sondern auch Geige spielen. Einer für alle.
Der Höhepunkt, nein Tiefpunkt dieser Ich-bin-was-besonderes-Manie war die Wurst mit Bart vom letzten Jahr. An den Song, um des es ja eigentlich geht, kann ich mich nicht erinnern. Irgendwas in der Kategorie: „War nicht ganz schlimm.“
Und nun musste ich lernen, dass es noch tiefer geht. Finnischer Punkrock.
Spinnen die Finnen? Nun, ja. Nicht unbedingt. Bei Punkrock wird man wenigstens mal wach.
Aber die spinnen wirklich die Finnen. Die Punkrocker haben alle Down-Syndrom. Bis auf einen, der ist Autist. Ich finde wirklich supertoll, dass die Männer Musik machen. Ich kann das nicht. Ich finde auch gut, wenn auf der großen ESC-Bühne der halben Welt zeigen, was alles möglich ist. Trotz Behinderung!
Aber diese Band in den Wettbewerb schicken, liebe Finnen, das hat Geschmäckle. Da wird der ESC zum Zirkus, in dem ihr Menschen mit Behinderung vorführt. Als wenn Punkrock allein nicht schon schräg genug ist für den Wettbewerb. Wollt ihr auch noch den Mitleidbonus?
Immerhin, die Experten hatten schon die Finnen zum Favoriten hochgeschrieben.
Den gab es aber nicht. Allen Experten zum Trotz sind die Finnen gestern schon im Halbfinale gescheitert. Geschlagen von Windmaschinen zerzausten, dünnstimmigen Popliederchen.
Und ich habe die Lust am ESC verloren. Das Finale wird am Sonnabend ohne mich stattfinden. Ich zappe vielleicht aus Versehen mal rein. Nur ganz kurz. Bestimmt.
Für Deutschland singt irgendein dünnes Popstimmchen. Namen habe ich vergessen. Die hat nicht mal hier den Vorentscheid gewonnen. Darf aber auf die große Bühne, weil dem Sieger das dort zu doof war. Kann ich verstehen. Deutschland singt mal wieder chancenlos in diesem Jahr. Das macht Hoffnung. So falsch wie ich in all den Jahren gelegen habe.
Und wer sich die ganze Zeit gefragt hat: Wer zum Teufel dieser Horst Köhler ist. Horst Köhler ist der bürgerliche Name von Guildo Horn.
Ich hab euch lieb.