Roland Regge-Schulz

Die Post ist nicht da

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Die Post streikt und irgendwie ist alles wie früher. Wie früher, als man noch keine Angst hatte den Briefkasten aufzumachen. Wie früher, als es noch Telegramme gab. „Frau Müller? Ja! Ein Telegramm von ihrem Mann. Er schreibt: Ich komme gleich. Ach, der ist wieder bei seiner Sekretärin.“

Der Briefkasten meiner Großeltern war knapp 300 Meter Vorfreude vom Haus entfernt. Vielleicht war ja heute was Schönes drin. Sie mussten raus aus dem Haus, an der Molkerei und am Busbahnhof vorbei. Gegenüber vom Sportplatz hatte die Post eine Gemeinschaftsanlage errichtet. Briefkästen in Reih und Glied. Die Postboten hatten es so viel einfacher, brauchten nicht mehr von Haus zu Haus hetzen. So schafften sie es meist, am frühen Nachmittag die Kästen zu füllen. Damals hieß es noch Post- und Zeitungsvertrieb. Also brachte die Post auch die Tageszeitung. Die war natürlich am Nachmittag noch älter als am Morgen. Aber was war damals schon Zeit. Ich glaube, meine Großeltern haben die Zeitung nur abonniert, damit der Weg zum Briefkasten nicht umsonst war. Viel Post gab es ja damals nicht. Die Werbung hätte schon gerne die Briefkästen verstopft aber es fehlte an Papier und an Dingen, für die es sich zu werben lohnt. Denn was sich wirklich lohnte brauchte nicht beworben zu werden. Es war auch so schon immer weg, bevor man es kaufen konnte.
Ab und an war mal ein Brief im Kasten oder eine Postkarte aus dem Ferienlager: „Mir geht es gut. Wie geht es Euch? Das Wetter ist gut. Das Essen schmeckt.“
Letzteres war natürlich eine Lüge. Aber wer wollte schon seine Großeltern beunruhigen. Zumal es gar nicht so ungewöhnlich war, dass die Karte erst im Kasten lag, als man längst wieder zu Hause war.

Heutzutage ist die Post schneller. Frau Müller sagt: „Die Post ist wie mein Mann. Der kommt auch immer früher.“ Und die Post hat gut zu tun. Die Werber haben genug Papier und mehr als genug Dinge, für die es sich zu werben lohnt, weil sie sonst keiner kaufen würde. Dazu jede Menge offizielle Post mit vielen Zahlen darin. Alles wird reingestopft in die Briefkästen. Nur die Ansichtskarten sind fast ausgestorben. Einzig ein treuer alter Freund schickt regelmäßig welche aus all den Ecken der Welt, die er bereist. Na, das gibt immer ein Hallo.

Heute kommt die Post gar nicht. Und morgen auch nicht. Die Mitarbeiter streiken. Das ist ihr gutes Recht und gut so. Und gut für mich. Wie damals meine Großeltern gehe ich fröhlich pfeifend und voller Vorfreude zum Briefkasten, öffne schwungvoll die Klappe und ,Hurra, nichts ist drin. Das ganze mache ich gleich mehrmals am Tag. Keine Rechnung, keine Mahnung, nur beruhigendes Nichts. Von mir aus kann die Post immer streiken und die Briefe, die in ihren gelben Kästen landen, sofort ins Altpapier geben. Für die Ansichtskarte kaufe ich mir eine Brieftaube. Die gebe ich meinem Freund einfach mit auf Reisen.