Roland Regge-Schulz

Gut oder böse?

Wer ist gut? Wer ist böse? Wo ist die Grenze? Manchmal wäre es einfacher, ein Pinguin zu sein. Dann wüsste man: Wer einem die Eisscholle unter dem Hintern wegschmilzt, der ist böse. Aber in der Ukraine gibt es keine Eisschollen und keine wirklich Guten. Oder?

Hoffentlich fragen die Prinzessinnen nicht, ich wüsste gar nicht, was ich antworten sollte. Ich kaue mein Frühstücksbrötchen und passe auf, dass der Mund nie leer wird. Mit vollem Mund spricht man nicht. Auch nicht über die Ukraine.

Die Kinder haben zum Glück wichtigere Sorgen. Das Ladegerät fürs Handy ist weg. Aber wenn sie es wiederfinden oder, noch schlimmer, wenn nicht? Wenn sie sich gezwungenermaßen plötzlich für die Welt da draußen interessieren? Was soll ich sagen?

Jede Auseinandersetzung braucht einen Guten und einen Bösen. Wir brauchen doch klare Fronten, müssen doch wissen, für wen wir sind. Beim Fußball zum Beispiel immer für die Heimmannschaft und aus Prinzip gegen Bayern München.

In den Defa-Indianerfilmen waren immer die Indianer die Guten und die Cowboys wollten ihnen an Land und Leben. Mit Pfeil und Bogen gegen Feuerwaffen. David gegen Goliath. Klar, dass mein Herz für die Schwachen schlug. Im Western war es umgekehrt. Der einsame Cowboy allein mit seinem Revolver gegen eine blutrünstige Übermacht wilder Rothäute, die seinen Skalp wollten. Ganz ehrlich: Ich war nicht immer für den Cowboy, ich konnte doch nicht so plötzlich die Fronten wechseln.

In der Schule wurde die ganze Welt in gut und böse eingeteilt. Und die Sowjetunion war unser Freund und alle Russen unsere Brüder. Auf die Bezeichnung Brüder habe ich großen Wert gelegt. Brüder bekommt man, Freunde kann man sich aussuchen.

Später verordnete mir die neue Regierung neue Brüder. Die waren auf den Landkarten meiner Schulzeit noch die Bösen.

Als die Russen noch meine Brüder waren, sind sie in Afghanistan einmarschiert. Als die Amerikaner meine Brüder wurden, sind sie auch in Afghanistan einmarschiert. Wenn eines Tages die Chinesen meine Brüder werden, möchte ich kein Afghane sein.

Und jetzt die Ukraine. Die Ukrainer gehörten ja mal zur Sowjetunion, waren damit meine verordneten Brüder. Und heute? Nun ja, schwierig. Geteilt. Ein Teil der Ukrainer findet den Westen gut, der andere die Russen. Ein Teil sind also meine Brüder und die anderen könnten Freunde sein. Aber wer ist nun gut und wer böse?

Meine Regierung sagt: Die Ukrainer, die die Russen gut finden, sind die Bösen. Und die, die die Amerikaner gut finden, sind die Guten. Weil die Amerikaner unsere Freunde sind. Die Regierung sagt nicht Brüder, die sagt Freunde, weil sie sich die selbst ausgesucht hat. Das vom einfachen Bürger über die Wirtschaft bis zur Bundeskanzlerin alle ausspioniert werden, das ist nicht so schlimm, das kann man so machen unter Freunden. Wenn ich bei Freunden bin, gucke ich doch auch die Schlüpferschubladen im Schlafzimmer durch, blättere mich durch ihre Kontoauszüge und installiere heimlich eine Videokamera über deren Bett. Das macht man doch so unter Freunden.

Nein, das macht man nicht!

Das weiß auch meine Regierung und hat bei den Amerikanern kräftig auf den Tisch gehau..., hat den Finger gehob..., hat am Rande mal angemerkt, dass das nicht ganz so toll ist.

Meine Regierung hat eine klare Position. Laut meiner Regierung sind in der Ukraine die die Guten, die in Kiew den korrupten putinfreundlichen Präsidenten weg-gemobbt haben. So weit, so gut. Ein Teil der Guten sind militante Ultrarechte. Das finde ich nicht gut? Und dann haben von den Guten, Gute auf andere Gute geschossen, um zu behaupten, dass waren die Bösen. Das ist eine Schweinerei! Meine Regierung aber sagt: Putin ist böse. Und somit sind alle, die gegen Putin sind, die Guten.

Die Mehrheit der Krim-Bevölkerung stimmt für einen Beitritt zu Russland. Die Russen stimmen zu. Das ist völkerrechtlich bedenklich. Aber ist das böse, wie meine Regierung sagt?

Die Amerikaner marschieren auf Grund gefälschter Beweise in den Irak ein. Der Diktator stirbt. Ist das gut, wie meine Regierung sagt?

Es wird doch nicht Unrecht zu Recht, oder böse zu gut, nur weil andere das auch gemacht haben.

Die Ukraine bringt die ganze Welt durcheinander. Was ist überhaupt noch gut und was ist böse?
Ich sehe nicht mehr durch. Ich mache mir eine Liste zum Ankreuzen.

Der alte ukrainische Präsident, ein Schuft wohl, wurde aber demokratisch gewählt. (gut/böse)

Die neue Regierung wurde nie gewählt, hat ultrarechte Kräfte am Tisch. (gut/böse)

Ukrainer protestieren auf dem Kiewer Maidan-Platz gegen den alten Präsidenten, besetzen öffentliche Gebäude. (gut/böse)

Der alte Präsident reagiert mit Waffengewalt. Es gibt Tote und Verletzte. (gut/böse)

Ukrainer protestieren in der Ost-Ukraine gegen die neue Regierung, besetzen öffentliche Gebäude. (gut/böse)

Die neue Regierung schickt bewaffnete Truppen. Es gibt Tote und Verletzte. (gut/böse)

Russland lässt seine Armee an der Grenze aufmarschieren. Sie sagen zum Schutz der in der Ukraine lebenden russischen Minderheit. (gut/böse)

Deutschland hat sehr gute Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. (gut/böse)

Die Amerikaner verlangen Sanktionen gegen Russland von den Europäern. (gut/böse)

Mit Sanktionen schießt sich Deutschland selbst ins Knie. (gut/böse)

„Man muss die Kalaschnikow nehmen und alle Russen plattmachen“, sagt die ukrainische Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko. (gut/böse)

Gazprom (gut/böse)

Schalke 04 (gut/böse)

NSA (gut/böse)

KGB (gut/böse)

Obama (gut/böse)

Putin (gut/böse)

Krieg (böse/böse)

Papa?, fragt die Prinzessin.
Meine Ohren glühen. Ich stopfe mir schnell den Mund voll Brötchen. Das Kind fragt nicht nach der Ukraine. Ich kaue dankbar, ich hätte keine Antwort gewusst.