Ich will mein Auto NICHT verkaufen
Vom kleinen Balkon aus kann ich viel Straße sehen. Ich sehe ein bisschen Grün, einen grauen Himmel und einen Mann in den besten Jahren. Seit ich selbst nicht mehr so ganz jung bin, bezeichne ich Menschen, die beginnen klapprig zu werden, als in den besten Jahren. Von Verkäuferinnen werden Männer in den besten Jahren gern „junger Mann“ genannt. Der junge Mann trägt einen prächtigen, grauen Schnauzbart im Gesicht und eine prall gefüllte Gürteltasche um den Bauch. Ab und an greift er in die Gürteltasche und holt einen Stapel Kärtchen heraus, die er, Stück für Stück, mit geübtem Schwung, hinter die Fenstergummis der Fahrertüren der parkenden Autos steckt. Er verfolgt dabei eine ganz klare Linie, er lässt kein Auto aus. Marke, Zustand, Farbe – egal. An einer Autotür steckt schon eine Karte. Aber es ist keine von seinen. Sie ist orange, nicht hellblau. Der Mann in den besten Jahren steckt seine hellblaue Karte hinters Fenstergummi und zieht die orange heraus. Ein paar Meter weiter schnipst er sie in die Büsche, wo sie als kleiner bunter Punkt hilflos vor sich hinleuchtet, bis die Sonne ihr die Farbe aus der Pappe gestrahlt oder der Regen sie ausgewaschen hat.
Eine der hellblauen Karten hat auch der Herr Müller an seinem Auto gefunden. Er war nur mal kurz in der Stadt und musste nur mal kurz sein Auto unbeaufsichtigt auf der Straße stehen lassen, weil das Mitnehmen von Hunden und Autos in den meisten Läden verboten ist. Keine fünf Minuten hat er es alleingelassen und nun das. Dabei sieht doch jeder, dass Müllers Auto nicht zu verkaufen ist. Es ist kein Jahr alt und sieht neuer aus als neu. Kein Stäubchen lässt der Herr Müller auf dem spiegelnden Blech zu. Sein Auto ist so sauber, so rein, dass man von den Felgen essen könnte. Was Herr Müller natürlich niemals zulassen würde. Nachher sind die Radkästen vollgekrümelt.
Müller zieht das Kärtchen heraus, läuft dabei rot an, ein schöner Kontrast zu dem Hellblau, wirft die Karte auf die Straße und braust davon. Er muss nach Hause, das Fahrertürfenster putzen.
Am nächsten Morgen ist die Straße unter dem kleinen Balkon hellblau gesprenkelt. Sieht aus, als wollte niemand sein Auto verkaufen.
Ein paar Tage später sehe ich den Herrn Müller durch die Stadt laufen, in einem seltsamen Zickzackkurs kreuz und quer durch die Fußgängerzone. Er hat ein Päckchen neongrüner Kärtchen in der Hand, die er jedem, der eine Gürteltasche trägt, hinters Ohr steckt. Ein paar Karten liegen auf der Straße. Ich bücke mich und lese: „Ich will mein Auto NICHT verkaufen! Wenn Sie eins auf die Nase wollen, rufen Sie mich an: 0174-9876...“ und so weiter.
Am nächsten Morgen ist die ganze Fußgängerzone neongrün gesprenkelt. Sieht aus, als wollte keiner was auf die Nase.