Roland Regge-Schulz

Im falschen Film

Kino ist der Film nach den Filmfilmfilmfilmfilmchen. Kino ist erlebbare Einsamkeit. Kino ist eine romantische Erinnerung.

Der Film heute ist total angesagt. Es ist der Topfilm. Es muss der Topfilm sein. Schließlich läuft er in beiden Kinos der Stadt gleichzeitig und mehrmals am Tag, im größeren Kino, im größten Saal. Ein großartiger Film. Bestimmt.
Meine Familie ist mit mir im Kino. Das finde ich an der Kasse nicht so toll. Ab 18 Uhr sind die Halbgroßen ganz Große. Finanziell gesehen.
Im Saal finde ich es richtig gut, dass meine Familie mit mir im Kino ist. Er ist nicht so voll, der große Saal. Es gibt da noch ein paar freie Plätze. In unserer Reihe sitzen exakt vier Leute. Meine Familie mit mir. Wenn ich die Leute in den jeweils sechs Reihen vor und hinter uns dazuzähle, komme ich auch auf genau vier Leute. Das sind wir, meine Familie und ich. Irgendwo in den Reihen dahinter und vielleicht oben auf dem Balkon müssen aber noch ein paar Menschen sein. Wenn man genau hinhört, dann höre ich von dort flüchtige Geräusche. Manchmal.
Ich sitze mitten im Parkett und die Leinwand entspricht in meinem Blickfeld in der Größe ungefähr dem Fernseher zu Hause, wenn ich mich auf der Couch lümmele.
Seit Fernseher ganze Wohnzimmerwände einnehmen, muss man ja nicht mehr ins Kino, um Filme auf der großen Leinwand zu erleben. Aber gemeinsam einen Film zu gucken, das ist ein Erlebnis. Okay, gemeinsam auf der Couch hätten wir bequemer gesessen. Meine Familie und ich. Aber ich will ja nicht meckern. Schließlich ist heute Kino und der Film ist ganz neu und total angesagt.
Das Licht stirbt, der Vorhang raschelt auf. Filmchen huschen über die Leinwand. Und noch mehr Filmchen. Und noch mehr. Werbung, Werbung, Werbung... Am Ende werde ich zwei Stunden im Kino gesessen haben und eine halbe Stunde davon wurde ich mit Reklame bombardiert. Ein ganzes Viertel der gesamten Kinozeit.
Ich bin ja ein anständiger Konsument. Ich habe aufmerksam zugeguckt, die ganze Reklame lang. Die haben schließlich viel Geld für ihre Werbung im Kino bezahlt, diese Firmen, die da werben. Da müssen sie sich auch meine Aufmerksamkeit verlassen können. Ist ja sonst kaum einer da, der zuguckt.
Als irgendwann der Film nach den Filmchen anfing, fällt mir ein, dass ich ja auch ziemlich viel Geld bezahlt habe, und dass Kinobetreiber vielleicht gar kein so schlechter Beruf ist. Als Kinochef bekommt man Geld von denen, die die Filmchen zeigen wollen und von denen, die sie gucken.
Zu Hause ist das anders. Selbst bei riesengroßen Fernsehern zahlt man für manche Programme Gebühren und wird am Abend von Werbung verschont, für andere muss man keine Gebühren zahlen, dafür wird man mit Reklame bombardiert. Irgendwie fair.

Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr zum Nachdenken. Der total angesagte Film hat angefangen. Ich zwinge die Kinder die Augen aufzuhalten. Das Eintrittsgeld muss schließlich abgeguckt werden.
Ich muss mich auch zwingen, die Augen offenzuhalten. Der Topfilm hätte es zu Hause auf der Couch nicht mal bis zur ersten Werbung geschafft. Und im Gebührenfernsehen hätte ich mich bei den Senderheinis beschwert, weil sie mein schönes Geld für so einen Pups verschwenden.

Ich sitze im Kino und freue mich, dass ich eine Familie habe. So ist es nicht ganz so einsam im großen Saal mit dem Topfilm. Früher, als Kino noch Kino und eine kollektives Erleben war, da hätte ich mich kaputtgelacht über die Leute, die sich über den Quark auf der Leinwand kaputtgelacht haben.

Heute ist Kino nur noch eine romantische Erinnerung. Und ich sitze im Saal und wünsche mir eine Fernbedienung, die mich nach Hause auf mein Sofa zappt.