Roland Regge-Schulz

In Germany, du musst Knopf drücken!

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Es ist voll an der Haltestelle. Alle warten auf den Bus. Junge und Alte, Inländer und Ausländer. Vier Menschengruppen. Und nur eine benimmt sich daneben.

Die Dämmerung frisst den Tag, die Sonne hat sich hinter den Bergen versteckt. Im Tal wird es schneller dunkel. Das leuchtete Gelb und Grün des Haltestellenschildes verschwimmt im Grau. Wir warten auf den Bus, mitten in Deutschland, mitten im Harz. Die Haltestelle ist lang, bietet zwei Bussen Platz und Platz genug für die ungewöhnlich vielen Wartenden so außerhalb der Tourismus-Saison
Es sind vier Gruppen, die auf den Bus warten. Eine Seniorengruppe, bewaffnet mit Wanderstöcken und kleinen Rucksäcken auf dem Heimweg von ihrer Tagestour; eine Jugendgruppe auf der letzten Etappe ihrer Anreise mit viel Gepäck auf dem Rücken und Handys in den Händen; eine sechsköpfige Familie auf Ausflug und zwei Flüchtlinge, die zurück in ihr Heim wollen.
Die Wartenden verteilen sich auf der Länge der Haltestelle. Ganz vorn, da wo der Bus seinen Einstieg hat, die Senioren.
Der Bus kommt und der Busfahrer hat die Frechheit, im hinteren Teil der langen Bushaltestelle zu stoppen. Mit dem Einstieg direkt vor der Jugendgruppe.
„Das kann doch wohl nicht wahr sein“, schimpfen lautstark die Alten. Da haben sie sich extra den Platz ganz vorne gesichert und sind plötzlich ganz hinten. Jedenfalls wenn es so zu gehen würde, wie es sich gehört, höflich und gesittet.
Was dann passiert, mag man gar nicht glauben, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Die deutschen Senioren kämpfen. Es ist mitnichten die Jugendgruppe die als erstes im Bus Platz findet. Auf den Busfahrer schimpfend, drängeln sich die Alten vor. Sicherheitshalber machen alle Platz. Man weiß ja nie. So ein Walking-Stock ist unten ganz schön spitz.
Der Bus ist groß genug für alle. Auch die Flüchtlinge, die sich schüchtern ganz hinten gehalten haben, finden noch Platz genug zum Sitzen.
Der Bus ruckelt los und die Senioren schimpfen über die Rücksichtslosigkeit von Autobesitzern, die so parken, dass der Bus Slalom fahren muss.
Der Bus schlängelt sich durch die Berge. Seltsam, trotz der Schaukelei fordern die Senioren nicht, dass der Harz platt gemacht wird, damit sie schneller nach Hause kommen.
Der Busfahrer bremst ab, fährt langsam an einer Haltestelle oben auf dem Berg vorbei. Keiner will hier einsteigen. Zu spät merken die Flüchtlinge, dass sie hier aussteigen müssen. Sie haben es nicht gesehen, es ist inzwischen dunkel draußen. Sie springen auf, sie kennen unsere Sprache nicht, sie gestikulieren. Der Fahrer bremst erneut, lässt sie bei nächsten Gelegenheit brummelnd aus dem Bus.
Die Flüchtlinge freuen sich, steigen aus. Und bekommen noch eine Belehrung von den deutschen Senioren mit auf den Weg: „In Germany, du musst Knopf drücken!“