Eine Kolumne von Roland Regge-Schulz

Liberaler Kuchen

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Wenn man Boot fahren kann, mitten in der Stadt. Wenn man in der Innenstadt mit dem Fahrrad viel schneller ist, als mit dem Auto. Wenn man Touristen trifft, die staunend übers Wasser schauen. Und wenn es manchmal komisch riecht, dann muss man nicht unbedingt in Schwerin sein. Sondern zum Beispiel in...

Das Zimmer ist klein, hat gar nicht den Namen Zimmer verdient. Karnickelbuchte wäre passender. Aber das ist egal. Wenn ich die Augen schließe, wird das Zimmer groß und weit, gehen die Wände auseinander und ich sehe mich, wie ich schwer und müde auf dem Bett liege und mir beim Träumen zugucke.

Vor einer Viertelstunde
Diese Treppen wären in Deutschland niemals durch den TÜV gekommen. Und so etwas in einem Hotel. Eng sind sie, schmal und die Stufentiefe viel zu gering. Man kann auf allen Vieren hochsteigen, ohne sich zu bücken. Ich steige auf allen Vieren hoch. Sicher ist sicher. Im zweiten Stock atme ich auf. Ich bin über dem Meeresspiegel, selbst wenn die Pole schmelzen. Schmelzt doch..., schmelzt doch...

Vor einer halben Stunde
Warum sind die eigentlich alle so laut hier. Ich habe Tennisbälle in den Ohren und höre trotzdem jedes Wort. Ich bin zu Fuß unterwegs. Fußgänger leben gefährlich hier. Die Stadt ist Fußgängern gegenüber feindlich gesinnt. Es klingelt in meinem Kopf. Radfahrer klingeln mich von der Straße auf den Fußweg.
Klingeling.
Aber der Fußweg steht voller Fahrräder.
Klingelingeling.
Endlich eine Einbahnstraße. Ein einsames Auto kämpft sich durch die Enge. Ich blicke ihm besorgt entgegen und werde von hinten, Klingelingelingeling, von einem Fahrrad überfahren.
Fast.
Ich klammere mich an ein Geländer und schüttele das Geklingel aus dem Ohr. Ich muss aufpassen, wenn ich schon überfahren werde, dann bitte von einem Rennrad oder wenigstens von einem Mountainbike und nicht von so einem peinlichen Hollandrad.

Vor einer Dreiviertelstunde
Batman ist hier. Steht mitten auf dem Platz auf einem Hocker und breitet die Fledermausflügel aus. Menschen geben ihm Geld dafür. Ich nicht. Robin fehlt. Wahrscheinlich von einem Fahrrad überfahren.
Zwei Milliarden Menschen drängeln sich an mir vorbei. Das muss der Mittelpunkt der Welt sein. Koreaner, Japaner, Afrikaner, Amerikaner und Bayeraner haben sich um mich versammelt. Müssen die alle so laut sein. Ein paar Chinesen machen seltsame Übungen, reichen mir eine Liste, ich soll unterschreiben. Tut mir leid, mir fällt gerade das Schriftzeichen für Roland nicht ein.
Die großen Straßen sind alle überflutet. Schiffe fahren im Wasser herum. Ein Radfahrer schlingert bedrohlich nah an die Wasserkante. „Gib Gracht“, rufe ich. Ich glaube, ich habe ihm das Leben gerettet.

Vor einer Stunde
Der Stadt geht es nicht so gut. In der Innenstadt sind viele Schaufenster leer. Manchmal sitzen Verkäuferinnen darin. Die sind so arm, die haben nicht einmal was anzuziehen.
Mir fällt ein alter Witz ein.
Onkel Paule klopft an so ein Fenster und fragt: „Wie teuer?“
„300 Euro“, sagt die Dame dahinter.
Onkel Paule: „Waaaas? So viel?“
Die Dame: „Ja, ist ja auch Sicherheitsglas.“

Vor 75 Minuten
Die Gassen verschwimmen im süßlich, beißendem Rauch. Es riecht sehr liberal in dieser Stadt. Ich habe Angst, dass mir gleich der Lindner auf die Schulter klopft und mich fragt, ob ich nicht eine Stunde auf den Rösler aufpassen kann. Soll der ihm doch selbst eine Tüte in die Hand drücken und ihn von früher träumen lassen, von damals, als es die FDP noch gab.
Ich rauche ja nicht. Nicht mehr. Seit 15 Jahren bin ich rauchtrocken. Das war damals der Beginn eines wunderbaren Bäuchleins. Inzwischen ist er ziemlich erwachsen geworden, obwohl ich so gut wie nie Kuchen essen. Ich mag einfach keinen.
Ob ich einen Kuchen will? Eigentlich nicht. Aber ich habe Hunger.
Zitrone oder Schoko? Egal. Ich nehme von beidem.
Schmeckt gar nicht mal so schlecht. Der Schoko vielleicht eine Spur zu trocken und beide im Nachgeschmack etwas zu liberal.

Vor zwei Stunden
Amsterdam ist eine wirklich schöne Stadt.