Roland Regge-Schulz

Schaden für Deutschland

Der Wirt war in Form. Wütend war er und er knallte das Glas auf den Tresen, dass sich der Schnaps nur mühsam drinnen halten konnte.

„Hier“, brüllt er und fingert auf seinem Smartphone herum, „hier stehts Pixel auf Pixel, Politiker sind die, denen die Menschen am allerwenigsten vertrauen. Hier, die Liste, da musste Dir einen Wolf scrollen, biste bei den Politikern bist. Ganz unten stehen die. Noch unter den Werbeheinis und den Versicherungsvertretern.“

„Ach, die Umfrage kannste vergessen“, sagt Herr Müller mit schwerer Zunge, „da stehen die Feuerwehrleute ganz oben. Ausgerechnet denen trauen die Menschen. Die zünden doch selbst die Feuer an, damit sie was zum Löschen haben.“

Am Stammtisch recken sich drei freiwillige Feuerwehrhälse. Herr Müller wird ganz still.

Der Wirt schnauft: „Ruhe jetzt!“

Und dann macht er etwas, was er nie macht. Er redet mehr als drei Wörter hintereinander. Und er macht etwas, was er ansonsten in seiner Kneipe verbietet. Er redet über Politik.

„Ich bin des Volkes Seele“, grunzt er, „und die, das sage ich euch, die kocht. Ich koche.“

Und dann erzählt die ganze Geschichte. Kurz und pointiert. Unterhaltsam fast, wäre sie nicht so unappetitlich. Er erzählt von dem Politiker der einen Partei, der sich Bilder von nackten Jungs im Ausland bestellt. Er erzählt von der Staatsanwaltschaft die das für nicht ganz so legal hält und gegen ihn ermittelt. Und er erzählt vom obersten Dienstherrn der Staatsanwaltschaft, dem Innenminister von der anderen Partei, der darüber informiert wird. Und obwohl der sehr genau weiß, dass dieses Wissen streng vertraulich ist, es ausplaudert. Es ganz gezielt dem Chef des Kinderbilderfreundes von der anderen Partei erzählt. Das spricht sich natürlich herum. Und als die Staatsanwaltschaft beim Kinderbildfreund auftaucht, ist der weg und dessen Computer sind kaputt oder abhanden gekommen. Der Minister, inzwischen für Landwirtschaft zuständig, muss zurücktreten, für etwas, das er noch als Innenminister verbockt hat. Bis dahin ist ja noch alles so, wie es sein muss.

„Aber dann“, poltert der Wirt, dass der Schnaps in den Gläsern schwappt, „dann darf sich dieser Geheimnisverräter ins Fernsehen stellen und rumdösen, dass es vielleicht nicht ganz korrekt aber richtig war, hatte er doch Schaden von Deutschland abwenden wollen.“

Jetzt fährt der Wirt vollends hoch und brüllt: „SCHADEN FÜR DEUTSCHLAND? Hallo, gehts auch ne Nummer kleiner. Wo bitte bleibt da der Schaden, wenn ein Staatsanwalt ermitteln kann?“

Am Rande des Tresens klappert die Ruhe in Person mit seinem leeren Glas auf dem Tisch. Der Wirt hat kein Ohr für seinen Job.

„Und dann kommts noch schlimmer“, brüllt er, „der von der anderen Partei, der entschuldigt sich tatsächlich dafür, dass er den Geheimnisverräter verraten hat. Also dass er die Petze verpetzt hat, obwohl der doch so ein feiner Kerl sei.“

Herr Müller lallt: „Da hackt kein Auge der anderen eine Krähe aus.“

Die Ruhe in Person räuspert sich: „Ähemm...“

Der Wirt brüllt: „Von so etwas werden wir regiert. Das nennt sich dann Große Koalition.“

„Große Kackelition“, meldet sich Müller.

„Ähähämmm...“, macht die Ruhe in Person.

„Kein Wunder“, schnauft der Wirt, „dass alle keinen Bock mehr haben auf Politik. Guck hier die Liste. Da brauchste gar nicht mehr zur Urne gehen, wen willste da noch wählen?“

„Also wenn ich die Wahl hätte“, sagt die Ruhe in Person, die sonst nie etwas sagt. Es wird so still im Raum, dass man den Feuerwehrmann von seinem Stuhl auf den Boden fallen hören kann.
„Ich würde noch ein Bier wählen...“