Großer Andrang bei Bürgerversammlung

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Freitagabend, 18.30 Uhr. Die Luft ist zum Schneiden dick. 200 Stühle hat die Verwaltung im Speiseraum der Grundschule Lankow aufstellen lassen. Es hätten hundert mehr sein können. Gereicht hätten sie trotzdem nicht. Denn die OB hat angekündigt, zu den Flüchtlingen in Schwerin Rede und Antwort zu stehen.
19.09.2015
Sylvia Kuska

Filmkameras und Reportermikrofone sind im Raum tabu. Wegen möglicher Hemmungen, sich vor ihnen zu Wort zu melden, sagt Angelika Gramkow. Die Oberbürgermeisterin steht auf einem Podest. In der einen Hand das Mikro, in der anderen ein Spickzettel voller Zahlen. Drei Prinzipien stellt sie voran. „Wir schreien nicht, wir hören zu und lassen einander ausreden.“ Breiter Applaus.

Eine Woche ist es her, als bekannt wurde, dass die ehemalige Comeniusschule in Lankow zur  Notunterkunft wird. Über Nacht, ohne Vorankündigung, machen ihr Anwohner seit Tagen zum Vorwurf. Auch deshalb das Treffen am Freitagabend. Vor, neben und hinter ihr besorgte Schweriner. Neugierige. Hilfsbereite. Ebenfalls dabei: einige von denen, die in der vergangenen Woche gegen die Notunterkunft demonstriert hatten und auch jetzt mit gewollt hörbaren Zwischenkommentaren nicht sparen. Insgesamt sind es mehr Leute als erwartet. Wer Glück hatte, fand in den angrenzenden Klassenräumen noch Stühle. Der Rest muss stehen. 

Dass Schwerin eine Notunterkunft bereitstellen müsse, habe auch sie erst vergangene Woche in der Nacht von Donnerstag zu Freitag vom Land erfahren. „In dieser Situation bin ich als Oberbürgermeisterin in der Verantwortung“, rechtfertigte sie die kurzfristige Entscheidung, in der leerstehenden Schule 150 Flüchtlinge aufzunehmen. Am Dienstagabend seien die ersten Busse angekommen. Am Donnerstag habe das DRK 158 Männer, Frauen und Kinder betreut. „Am Freitagmittag waren es 125.“ Sobald in den Erstaufnahmeeinrichtungen ein Platz frei sei, verlassen sie die Notunterkunft. Deshalb schwanke die Zahl von Tag zu Tag. Auf Dauer könne die Schule keine Notunterkunft bleiben, das sehe sie auch so. „Ich kann aber auch nicht sagen, wann sie wieder aufgegeben wird.“

„Flüchtlingshilfe funktioniert aber auch nicht auf Knopfdruck“, meldete sich Ina Tuchel vom Ortsbeirat Lankow zu Wort. Ihr Kritikpunkt: Nicht einmal der Ortsbeirat habe Bescheid gewusst. Die OB widerspricht; sie habe gleich den Kontakt gesucht. Nun verspricht sie, dem Gremium nächste Woche Rede und Antwort zu stehen.
Andere Redner äußern Ängste vor der fremden Kultur und Religion, kritisieren, dass die Ursachen für die Flucht nicht behoben würden, die Politik die Bevölkerung nicht mitnehme und so unnötig Wut und Hass schüre. Medienschelte ist auch dabei. Angelika Gramkow betont mehr als ein Mal, dass sie viele Sorgen nachvollziehen könne. Gleichwohl sei sie als Oberbürgermeisterin gesetzlich verpflichtet, geltendes Asylrecht durchzusetzen.

Die Tür zum Schulhof steht die ganze Zeit offen. Mehr Luft bringt das nicht. Zwei Mikrofone wandern von Frage zu Frage, von Statement zu Statement. Applaus. Gejohle. Buhrufe. Für flüchtlingsbejahende Äußerungen ebenso wie für kritische und polemische. Drei potentielle Mitredner hatte die OB zu Beginn angekündigt. Aus der Verwaltung, von der Wohnungsgesellschaft Schwerin und der Polizei. Die meiste Zeit ist jedoch sie gefragt. Das mit den Prinzipien klappt überwiegend.

Inzwischen ist es dreiviertel acht. Die ersten sind gegangen. Zwei Wortmeldungen noch. Dann schließt Angelika Gramkow die Runde. Einige nehmen das Angebot an, am Rande noch mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Die nächste große Runde ist für kommenden Mittwoch geplant: 18 Uhr in der Astrid-Lindgren-Schule, Tallinner Straße 4-6.


Nachfolgend einige Fragen und Antworten aus der Diskussion

„Die Anbindung des öffentlichen Nahverkehrs an Stern Buchholz ist schlecht. Was wird dagegen getan?“
In Vereinbarung mit dem Betreiber von Stern Buchholz und den angrenzenden Bewohnern seien die Taktzeiten geändert worden und größere Busse im Einsatz, so die OB.

„Was können wir konkret für die Flüchtlinge tun?“
Angelika Gramkow verwies auf die Flüchtlingshilfe Schwerin, die sich gebildet hat, auf Kontaktdaten unter www.schwerin.de und verteilte Zettel mit Adressen und Ansprechpartnern für Spenden.

Wie groß sei die Gefahr, dass unter den Flüchtlingen auch IS-Kämpfer sein könnten?
Die Oberbürgermeisterin betonte, dass sowohl in der Notunterkunft als auch in Stern Buchholz alle Flüchtlinge registriert würden, „auch erkennungsdienstlich“. Eine Garantie könne aber keiner geben.

Inwieweit sei angedacht, auch Turnhallen als Flüchtlingsunterkünfte zu nutzen? Und könne garantiert werden, dass die Hallen im Winter wie geplant für den Schul- und Vereinssport genutzt werden können?
„In Schwerin werden wir Flüchtlinge nicht in Turnhallen unterbringen. Das ist unmenschlich. Ich gehe davon aus, dass alle Hallenzeiten wie vereinbart genutzt werden können“, so die Oberbürgermeisterin.

Auf die Frage nach der Sicherheit antwortete Schwerins Polizeichef Ingo Renk:
„Wir bestreifen sowohl die Notunterkünfte als auch Stern Buchholz. Bislang hat es weder Beschwerden noch eine Straftat gegeben.“

„Wieso wird nicht der Schulweg bestreift?“
Das sei in einem 130 Quadratkilometer großen Zuständigkeitsbereich nicht möglich. Dafür gebe es, so Ingo Renk, bislang auch keinen konkreten Anlass.

„Was ist an dem Gerücht, dass sich die Menschen in der Schule nicht waschen können?“
Das stimme nicht, so die OB. „In der Schule gibt es Möglichkeiten, sich zu waschen und inzwischen auch warmes Wasser.“ Die Anzahl der Duschen sei allerdings gering.

„Wann bauen Sie die erste Moschee, Frau Gramkow?“
„Wenn, dann baue nicht ich.“ Außerdem habe Schwerin bereits zwei.

Werden die Flüchtlinge auch in den Hochhäusern untergebracht?
„Nein“, sagte Thomas Köchig, Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Schwerin mbh (WGS). Auch die beiden für den Abriss vorgesehenen Häuser in Lankow würden wie geplant abgerissen.

„Wie viel Geld gibt die Stadt pro Monat für Flüchtlinge aus? Und wer garantiert, dass das keiner von uns bezahlt?“
Anerkannte Flüchtlinge hätten Anspruch auf 359 Euro pro Monat. Angelika Gramkow kündigte an, eine genaue Aufschlüsselung ins Internet zu stellen. In jedem Fall seien es aber Steuergelder.

Aktuelle Zahlen

Schwerin hat in diesem Jahr bislang 280 syrische Kontingentsflüchtlinge, Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge in 79 leerstehenden Wohnungen in Lankow (10 Wohnungen), Krebsförden (10), im Mueßer Holz (56) und auf dem Großen Dreesch (3) untergebracht, sagt Angelika Gramkow. Den aktuellen Prognosen zufolge würden bis Jahresende noch einmal 200 Flüchtlinge dazu kommen. Fürs nächste Jahr werden knapp 860 erwartet. Der große Sprung hängt damit zusammen, dass die Zuweisungsquote für Schwerin derzeit 2,87 Prozent beträgt und im kommenden Jahr fünf Prozent. Die Zahlen berücksichtigen nicht die Flüchtlinge in Stern Buchholz oder den Notunterkünften. Diese zählen extra, weil das die Anlaufstellen des Landes sind.

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