Jetzt richtet das Volk über die Amtsgerichte

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Sonntag, 6. September. Es ist der Tag für die Gegner und die Befürworter der neuen Gerichtsstruktur. Wie viele Amtsgerichte bleiben in MV? Alles hängt davon ab, wie hart das Volk mit der Reform ins Gericht geht – und wie gründlich es die Frage auf dem Abstimmungsschein liest. Zehn Hintergründe zum Volksentscheid.
31.08.2015
Sylvia Kuska

Was verbirgt sich hinter der Gerichtsstrukturreform?
Sie sieht in der Hauptsache vor, die Anzahl der Amtsgerichte in MV von ursprünglich 21 auf zehn zu reduzieren. Fünf sollen geschlossen, sechs zu Zweigstellen umgewandelt werden. Der Landtag hatte dem Gesetz im Oktober 2013 mit den Stimmen von SPD und CDU zugestimmt. Ein Jahr später trat es in Kraft.

Warum schob die Landesregierung die Reform an?
Sie begründet die Notwendigkeit in erster Linie mit dem demografischen Wandel: Weniger Einwohner, weniger Verfahren. Aus Sicht der Landesregierung könnten größere Gerichte außerdem effizienter arbeiten als kleine. „Wenn in einem kleinen Gericht ein Richter oder Rechtspfleger krank wird und der andere wegen Urlaubs fehlt, dann ist die Bearbeitung der Verfahren nicht mehr möglich. Nur in größeren Amtsgerichtseinheiten sind in diesen Fällen Vertretungen gewährleistet“, argumentiert Justizministerin Uta-Maria Kuder. Mit der Reform setzt die Landesregierung Vereinbarung Nummer 374 aus dem Koalitionsvertrag um. Auf 25 Jahre gesehen sollen dadurch 33,6 Millionen Euro eingespart werden – der Großteil durch den Wegfall von Mieten und der Bewirtschaftung von Gebäuden.

Sylvia Kuska
Die Abstimmungsbenachrichtigungen sind verschickt. Abgestimmt werden kann per Post oder am Sonntag von 8 bis 18 Uhr im Abstimmungslokal.
Wie argumentieren die Gegner der Reform?
Sie bemängeln in erster Linie längere Wege. „Gerichtsbezirke weit größer als etwa das Saarland erschweren künftig weiten Teilen der Bevölkerung den Zugang zur Justiz“, sagt der Vorsitzende des Richterbundes MV, Axel Peters. Rechtsanwalt Stefan Graßhoff, Präsident der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern, sieht damit die Rechtssuchenden gegenüber dem bisherigen Zustand deutlich im Nachteil. Der Deutsche Anwaltverein befürchtet, dass Richter künftig seltener Ortstermine anberaumen könnten oder einen großen Teil ihrer Arbeitszeit für Fahrten dahin aufwenden müssen. Folglich bliebe weniger Zeit, um Fälle zu bearbeiten. Ein weiterer Kritikpunkt: Nicht jede Zweigstelle ist für alle Rechtsangelegenheiten zuständig. Zu den großen Gegnern der angeschobenen Reform gehören unter anderem der Richterbund MV, die Rechtsanwaltskammer MV, der Deutsche Anwaltverein und der Verein „Pro Justiz Mecklenburg-Vorpommern“.

Wofür sind Amtsgerichte zuständig?
Unter anderem für Scheidungen, Unterhaltsklagen, Bußgeldverfahren, Zwangsvollstreckungen, Zwangsversteigerungen, Vaterschaftsfeststellungen, Mietstreitigkeiten, die Erteilung eines Erbscheins sowie für Eintragungen ins Vereinsregister und Grundbuch. Es stellt Durchsuchungsbeschlüsse aus, ordnet Haftbefehle an, urteilt in Privatklageverfahren zum Beispiel bei Hausfriedensbruch, Beleidigung und Sachbeschädigung. Auch Vergehen wie Betrug, Körperverletzung oder Straßenverkehrsdelikte werden hier verhandelt, sofern das zu erwartende Strafmaß zwei Jahre nicht überschreitet.

Wieso kommt es dazu, dass das Volk über die Reform entscheidet?
Im März 2014 starteten der Richterbund MV und der Verein „Pro Justiz“ ein Volksbegehren gegen die Reform. Damit es zugelassen wird, waren mindestens 120.000 gültige Unterschriften nötig. Die bekamen die Gegner zusammen. In der Folge musste sich der Landtag damit befassen. Er lehnte das Volksbegehren erwartungsgemäß mit der Stimmenmehrheit von SPD und CDU ab. Deshalb der Volksentscheid. Er ist der erste in MV, der von der Bevölkerung initiiert wurde – und der zweite überhaupt. Der erste fand im Juni 1994 statt. Damals wurde über die Landesverfassung abgestimmt.

Wer muss wie stimmen?
Zur Abstimmung steht nicht die Reform selbst, sondern der „Gesetzentwurf zur Aufhebung der mit dem Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz beschlossenen Änderungen“. Das bedeutet: Wer „Nein“ zur Reform sagen möchte, muss auf dem Stimmzettel „Ja“ ankreuzen. Wer dafür ist, die Amtsgerichte neu zu strukturieren, muss sein Kreuz bei „Nein“ setzen. Wer vorab schon einmal einen Blick auf den Stimmzettel werfen will: Hier geht’s zum Muster.

Wie viele Stimmen sind nötig, um die Reform zu stoppen?
Zirka 450.000 Wähler müssen mit „Ja“ stimmen. Das entspricht 33,3 Prozent der Wahlberechtigten.

Was passiert im Falle einer Mehrheit?
Dann würde die bisherige Gerichtsstruktur wieder gelten und müssten alle bereits umgesetzten Veränderungen rückgängig gemacht werden. 

Wozu noch der Volksentscheid - ist die Reform nicht schon umgesetzt?
Sie hat 2014 begonnen und wird schrittweise bis 2017 umgesetzt. Der Großteil der betroffenen Amtsgerichte ist aber bereits geschlossen bzw. in eine Zweigstelle umgewandelt.

Welche Amtsgerichte werden geschlossen oder zu Zweigstellen?
Bereits aufgelöst sind die Amtsgerichte in Ueckermünde, Hagenow, Bad Doberan, Wolgast
In Zweigstellen umgewandelt sind die Amtsgerichte Anklam, Neustrelitz, Parchim, Grevesmühlen.
Noch in Zweigstellen umgewandelt werden sollen im Herbst die Amtsgerichte Demmin und Bergen/Rügen.
Noch aufgelöst werden soll im Februar 2017 das Amtsgericht Ribnitz-Damgarten.
Zum Amtsgerichsbezirk Schwerin gehören nun auch das Amt Stralendorf und die Gemeinden Sülstorf, Lübesse und Uelitz.

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... finden Sie auch in unserem Podcast zur Reform.

Und hier: Die Gewinner und Verlierer der Gerichtsreform

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