Nur ein Kilo Spargel
„Lecker Spargel, Hunger“, ruft Nesthäkchen, die späte Tochter, und klappert schon mal ungeduldig mit dem Besteck auf dem Teller, um Mudder in der Küche zu beschleunigen.
Vadder verteilt schon einmal großzügig Kartoffeln auf die Teller.
„Was stinkt denn hier so?“, fragt Junior und flegelt sich an den Tisch.
„Spargel“, ruft Nesthäkchen.
„Früher“, sagt Vadder und dirigiert mit der Kartoffelkelle die Zeitschiene ein paar Jahrzehnte rückwärts, „früher, da hatte ich mal ein Spargelbeet.“
„Hääähhh“, fragt Nesthäkchen.
Junior seufzt: „Er erzählt wieder von „Kurz-nach-dem-Krieg“, als sie nichts hatten und sogar Kitt aus dem Fenster gefressen hätten, hätten sie welchen gehabt.“
Vadders „Kurz-nach-dem-Krieg“ reichte bis weit in die 1980er Jahre hinein.
„Was ist Kitt?“, fragt Nesthäkchen.
„Spottet nur“, sagt Vadder, „aber so ein Spargelbeet, das war wertvoll. Weils kein Spargel gab, konntest Du für Spargel alles bekommen. Zwei Kilo frischen Spargel konntest du gegen einen zehn Jahre alten Trabant tauschen. Das war so ungefähr das, was man heute als Jahreswagen bezeichnet.“
Mudder seufzt: „Jetzt übertreibst Du aber.“
Vadder sagt: „Na gut, einen zwölf Jahre alten.“
Mudder reicht das Soßenkännchen über den Tisch.
Vadder ist nicht zu bremsen: „Ganz früh ausstehen musste ich damals. Morgens, noch bevor die Sonne aufging, musste der Spargel gestochen werden.“
Mit einem Blick zu Junior: „Zu Zeiten, die hast du seit Jahren nicht mehr gesehen.“
Junior verdreht die Augen.
Vadder ist nicht zu bremsen: „Mit einem Brett habe ich immer die Erde festgeklopft. Wenn die Erde aufriss, wusste ich, wo gleich so ein Spargel kommt, bevor der seinen Kopf in die Sonne stecken konnte. In der Sonne werden die Köpfe sonst blau und bitter. Heute hauen die da einfach schwarze Folie drüber.“
Nesthäkchen sagt: „Aber ihr hattet ja nichts, nicht mal schwarze Folie...“
„...so gleich nach dem Krieg!“, spottet Junior.
„Mach dich nur lustig, du Wohlstandskind“, zischt Vadder, „mit Eurem Großvadder zusammen habe ich eigenhändig im Garten das Spargelbeet angelegt. Ich sag euch, das war schwere Arbeit. Richtig tief ausheben musste man die Erde unter dem Beet. Und dann kam eine Riesenfuhre stinkiger Dung hinein. Der Spargel sollte ja über Jahre hinaus gut zu essen haben.“
Onkel Helmut hantiert mit den Spargelstangen auf dem Tisch.
„Was ist Dung?“, fragt Nesthäkchen.
„Kuhscheiße mit Stroh“, sagt Junior.
Nesthäkchen quiekt: „Spargel ernährt sich von Scheiße?“
Onkel Helmut nickt: „Mal abgesehen von deiner Ausdrucksweise, könnte man es verkürzt genau so sagen.“
Tante Uschi ist der Appetit vergangen. Sie schiebt den Teller ein Stück beiseite
„Noch jemand Spargel?“, fragt Onkel Helmut.
Junior brummelt: „Ne, lass mal.“
„Igitt“, schreit die Prinzessin.
Onkel Helmut nickt und füllt sich großzügig auf.
Ein Kilo Spargel ist vielleicht ein bisschen viel für nur eine Familie.