Roland Regge-Schulz

Nackt im Schnee

„Das sind olympische Winterspiele!“

„Na klar“, sagt die Prinzessin und zeigt auf den Fernseher, „deshalb rennen die auch alle im T-Shirt rum.“

„Schon! Aber das Weiße da auf dem Boden, das ist doch Schnee.“

Den Schnee hat die Prinzessin schon nicht mehr gehört, da war die Tür hinter ihr schon eingeschnappt. Ist auch besser so. Was jetzt passiert, hätte ich nicht logisch erklären können. Denn gerade streuen sie im Fernseher Salz auf den Schnee, damit der Schnee länger hält. Nun kenne ich mich nicht so aus mit russischem Schnee. Bisher dachte ich, dass man immer Salz streut, um Schnee und Eis zu vertreiben. Aber bisher habe ich ja auch immer gedacht, dass man Wintersport in Orten treibt, in denen es auch Winter gibt. Irgendwo oben in den Alpen oder in Kanada, von mir aus auch in Grönland.

Sotschi kannte ich schon in meiner Schulzeit als Badeort am Schwarzen Meer. Genauso berühmt wie Jalta auf der Krim. Da ging die Sowjetunion baden. Erst wörtlich und was Jalta angeht, später auch in übertragenem Sinn. Da gab es sogar Palmen in freier Wildbahn. Und jetzt eben Olympische Winterspiele. Motto: Pack die Badehose ein, wir gehen Skifahren.

Das eröffnet natürlich ganz neue Perspektiven für den Sport. Warum nicht Winterspiele in Mecklenburg. Schwerin hat doch ideale Voraussetzungen. Da wird die Eisbahn nach dem Weihnachtsmarkt nicht abgebaut, gerodelt wird im Grünen Tal, die Abfahrtsläufer stürzen sich die Todesbahn in den Lankower Bergen hinunter und der Offshore-Windpark im Schweriner See produziert genug Strom um den Pfaffenteich zuzufrieren, zum größten Eishockeyfeld der Welt. Ökologisch korrekt angerichtet.

Vier Jahre später geht es dann nach Afrika. Da liegt ja, was den Wintersport angeht, ein ganzer Kontinent brach. Man braucht bloß ein bisschen Schnee vom Kilimandscharo holen, genügend Salz drauf streuen und fertig.

Gerade huschen kurzärmelige Skilangläuferinnen über den Bildschirm. Die langen Ärmel, erklärt der Reporter wissend, habe der Mannschaftsarzt abgeschnitten. Gute Schnitte, sauber und ordentlich, muss ein Chirurg sein.

Irgendwie macht Wintersport ohne Winter nicht so richtig Spaß. Die Fernbedienung knipst den Salzschnee aus.
Ich gehe mal auf ein Bier in die Kneipe. Neben mir am Tresen doziert ein Mann mit kleinen Augen, breitem Mund und viel Körpermitte über den Winter, den Sport und Olympia im Speziellen. Das sei ja alles nur noch Kommerzkacke und überhaupt seien die Sommerspiele viel besser. Wenn er Sport gucke, dann will er trainierte Körper sehen und nicht dick eingemummelte Figuren. Wer schon einmal Synchronschwimmen gesehen habe, für dessen Augen sind diese Snowboarder und Buckelpistenfahrer in ihren Schlabberklamotten eine Beleidigung. Und natürlich war früher alles viel besser. Und ganz früher sowieso. Und damit meinte er die Spiele der Antike, da hatten die nichts zu verbergen, da wurde nackt an den Start gegangen. Bier sabberte auf seinen Bauch. Immerhin seien die Spiele in Sotschi ein Anfang. Sonne, Strand und Salz, erklärt der Dicke und schneidet in Gedanken nach den Ärmeln auch die Hosenbeine der Langlaufanzüge ab.

„Klimawandel“, sagt der Dicke, „geile Sache!“

Ich denke an die übernächsten Winterspiele. Ich denke an Afrika. Und mir wird ganz kalt.