Roland Regge-Schulz

Einkaufen wie früher

Ein stolzer Laden, jedenfalls heißt er so. Ein Kaufhaus wie früher, als Kaufhäuser noch „Magnet“ oder „Centrum“ hießen. Hier gibt es von allem etwas: Tassen und Anzüge, Schuhe und Koffer, Jacken und Wohnungsdekoration. Und manchmal auch ein Stück ostalgische Verkaufskultur. Ich jedenfalls bin bedient.

Ich stehe an der Kasse und habe Zeit. Genauer sind es zwei Kassen, nebeneinander und beide besetzt. Und eigentlich habe ich keine Zeit, sondern muss Zeit haben. An der Kasse rechts bedient eine junge Verkäuferin eine Kundin. Packt die Ware ein, tippt den Preis in die Kasse und macht, was Kassiererinnen so machen, sie kassiert.
An der Kasse links hält eine ältere Verkäuferin mit zwei Frauen ein privates Pläuschchen. Gekonnt schafft sie es, mich minutenlang zu ignorieren.
Die Verkäuferin an Kasse rechts wirft unruhige Blicke nach links, wird immer schneller.
Meine Gedanken gehen spazieren. Sie haben ja Zeit. Und weil sie Zeit haben, drehen sie am großen Rad der Geschichte. Wandern 25 Jahre zurück, als Kaufhäuser noch Kaufhäuser wie dieses waren, als sich Teller und Hemden mit einer Selbstverständlichkeit Regale teilten und Deutschland in getrennten Betten schlafen ging.
So ähnlich im gemeinsamen und doch so verschieden in Ost und West, dieses eine Volk.
Eine Nuance nur war es, die alles erklärt. So kann ich es später meinen Enkeln erzählen, wenn sie mich fragen: Opa, wie wars denn so, damals, im Osten? Dann werde ich mich zurücklehnen und ihnen alles an diesem einen Beispiel erklären. Kasse links, Kasse rechts. Kasse Ost, Kasse West.
Im Osten wollte ich etwas kaufen, im Westen will man mir etwas verkaufen. Der Unterschied scheint auf den ersten Blick gering, ist aber auf den zweiten enorm.
Es ist ein Unterschied, ob ich etwas will und darüber entschieden wird, ob ich es bekomme oder ob man mir etwas verkaufen will und ich darüber entscheide, ob ich es kaufe. Es ist der Unterschied zwischen Mangel und Überfluss. Im Osten hieß es: Der Kunde ist König. Im Westen war er es.
Nun habe ich mich im letzten Vierteljahrhundert so daran gewöhnt, als Kunde tatsächlich König zu sein, also derjenige zu sein, der umworben wird.

Logisch: Ein Teil des Geldes, das ich ausgebe, ist ja ein Teil des Lohnes der Verkäuferin, die mich an Kasse Ost so sprachlos macht.
Ich könnte ja etwas sagen: „Räusper, räusper...“
Oder durch den Laden rufen: „Hallo, ist hier vielleicht jemand, der gern kassiert.“ Aber ich bin fasziniert von der ostalgischen Verkaufskultur und starre eine weitere Minute auf das Privatgeplauder.
Kasse West guckt immer wieder zu mir, dann nach nebenan und wird dabei immer hektischer. Jetzt hat sie doch tatsächlich Kasse Ost angesteckt.
Die Verkäuferin Ost zeigt gnädig auf den schmalen Spalt neben der runden Plaudertasche vor dem Tresen: „Kommen Sie durch!“
Ich schüttele den Kopf. Darauf räumt die dicke Plaudertasche vor dem Verkaufstresen ein paar weitere Zentimeter.
Die Verkäuferin wird lauter: „Kommen Sie zu mir!“
„Nein“, sage ich, „zu Ihnen komme ich nicht, sie haben ja keine Lust, zu arbeiten.“
Die Verkäuferin läuft rot an.
„Entschuldigung“, sagt sie nicht.
„Tut mir leid, war gerade wichtig“, sagt sie nicht.
„Sorry, ein Notfall, die Katze ist von einer Schnecke gebissen worden“, sagt sie auch nicht.
Sie sagt: „Dann eben nicht!“

Jetzt läuft auch Kassiererin West leicht rot an. Sie ist mit ihrer Kundin fertig, bittet mich zu sich. Zu ihr gehe ich doch gerne. Sie ist sehr freundlich, sehr nett, sehr schnell. Sie ist noch jung, sie arbeitet anscheinend gern. Sie kann ja nichts für ihre ältere Kollegin. Ich freue mich über die gute Bedienung.
Wenn mir gehören würde dieses Kaufhaus, stolz wäre ich auf solche Mitarbeiterinnen.
Für die Kasse Ost könnte man ja eine Spezialabteilung Ostalgie einrichten. Motto: Einkaufen wie früher. Werbeslogan: Hier sind sie bedient.
Allerdings ohne mich. Ich bin schon bedient.